Suchen
08.10.2024
Die zehnte NRW-Nachhaltigkeitstagung und die wunderbare Welt der Grautöne
Am 7. Oktober 2024 fand in der historischen Stadthalle Wuppertal mit 750 Teilnehmenden und 60 Ausstellern die 10. NRW-Nachhaltigkeitstagung statt. Die NRW-Nachhaltigkeitstagungen dienen seit ihrer Duisburger Premiere am 21. November 2012 als Austauschplattform der so genannten Nachhaltigkeitsakteurinnen – und akteure aus Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft.
Sowohl NRW-Umweltminister Oliver Krischer als auch NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur nahmen aktiv in Wuppertal teil, die Umweltverbände nicht. Das Team „NachhaltigesNRW“ machte damit deutlich, worum es bei dieser Tagung ging: Nachhaltigkeit aus der Blase der ‚Ökoszene‘ herauszuholen, ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen und sie als Leitbild und Geschäftsmodell für die Wirtschaft zu etablieren. Bisher sieht es so aus, als würde “die Wirtschaft” Nachhaltigkeit als bürokratisches Monster mit lästigen ESG-Berichtspflichten wahrnehmen.
Wirtschaftswachstum sei unentbehrlich, betonte Neubaur: „Unsere soziale Marktwirtschaft ist ein Erfolgsmodell.“ Sie gehe allerdings zu Lasten der Erde, denn „irgendjemand zahlt immer die Rechnung, wenn Nachhaltigkeit nicht der Treiber ist.“ Daher sei es notwendig Wirtschaftswachstum in die Bahnen der Nachhaltigkeit zu lenken, „Nachhaltigkeitsinseln“ entstehen zu lassen und Leitmärkte für nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen.
Nachhaltigkeitspolitik will gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt und die Generationengerechtigkeit stärken sowie die ökologische und die wirtschaftliche Entwicklung verbessern - und das mit globaler Perspektive im Rahmen der planetaren Grenzen. Die spannende Frage ist, wie daraus wettbewerbsfähige und gewinnbringende Geschäftsmodelle entstehen werden - in einer Zeit, in der kleine Unverpackt- oder Bioläden um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen.
Bekanntlich ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) kein guter Indikator für derartige Geschäftsmodelle. Es erfasst zwar wirtschaftliche Aktivitäten, berücksichtigt aber nicht deren Auswirkungen. Verkehrsunfälle, Katastrophen, Raubbau, Umweltverschmutzung tragen so zum Wirtschaftswachstum bei. Der Indikator gibt zudem keine Auskunft über die Verteilung des Wohlstands und ignoriert alle nicht marktwirtschaftlichen Aktivitäten wie ehrenamtliche Arbeit oder Hausarbeit.
Er müsse daher durch einen Nachhaltigkeitsindex ergänzt werden, unterstrich Oliver Krischer, der als Verkehrsminister auch einen Sektor vertrete, der nicht „on track“ sei. Er versprach, die ÖPNV-Misere in NRW mittelfristig und die transparente Kundeninformation über sie kurzfristig zu verbessern.
Wie dringend das ist, konnten die Tagungsteilnehmer*innen bestätigen, die die Rückreise von Wuppertal per ÖPNV über Düsseldorf antraten und wegen eines defekten Stellwerks zwischen Düsseldorf Hauptbahnhof und Düsseldorf-Gerresheim in Wuppertal-Vohwinkel strandeten. Sie erlebten, welche überraschende Zeitverzögerungen Fahrtabbrüche Zugausfälle und Falschinformationen über Zugalternativen und Schienenersatzverkehr hervorrufen können…
Das Programm der 10. Nachhaltigkeitstagung war mit Kurzdiskussionen, Impulsvorträgen, Projektvorstellungen aus NRW (DIDOMOS, FidAR, BauenWohnenArbeiten, Green.OWL, Plastic Fischer GmbH, KluG, 3 E’s 4 Africa, Sonnenwagen) sowie Tanz- und Musikaufführungen prall gefüllt. Die Teilnehmenden konnten sich zwar mit Handabstimmungen und Mentimeter-Fragen beteiligen, verlegten aber viele Diskussionen unter- und miteinander ins Foyer der Stadthalle.
Intensivere Auseinandersetzungen hätten einige Beiträge, Projekte, Erkenntnisse, Anmerkungen, Analysen und Thesen verdient, z.B.
• Hans-Christian Leonhard (unternehmer nrw) zur Bürokratie
• Julia Merkelbach (Unternehmerin) zu den Nachhaltigkeitsmärkten
• Bernhard Conzen (Rheinischer Landwirtschaftsverband) zur Ernährungssicherheit
• Prof. Dr. Christina van Haaren (Uni Hannover) zu den Treibern des Flächenverbrauchs
• Jörn Luft (trias) zum Boden als Gemeingut
• Prof. Dr. Christa Liedtke (Wuppertal-Institut) zur Verteilungsgerechtigkeit und vermeintlichen Konsumentensouveränität
• Prof. Dr. Alexandra Philipsen (Universitätsklinik Bonn) zu den Verknüpfungen von Diversität, ADHS und Autismus
• Regine Kreitz (AG Kommunikation und Demokratie) zur Empfängerorientierung
• Bettina Milz (Pina Bausch Zentrum) zur Bedeutung der analogen Stadtteilkommunikation
• Prof. Dr. Friedrich Edelhäuser (Universität Witten-Herdecke) zur Sinnsuche
• Jochen Trum (Westdeutscher Rundfunk) zum aus der Balance geratenen Biotop der öffentlichen Meinung und der Rolle der Plattformgiganten
• Wolfgang Marquardt (Green.OWL)
• Paul Claußen (Sonnenwagen)
• Contimi Kenfack Mouafo (3 E’s 4 Africa)
Andrea Thilo versuchte, mit ihrer Moderation den Referierenden kurze prägnante Merksätze zur ihrer Arbeit und ihren Thesen herauszukitzeln. Dennoch könnte sich eine Lektüre der hoffentlich zeitnah erscheinenden Tagungsdokumentation als Steinbruch für neue Ideen und Impulse erweisen.
Die kaum überschaubaren Herausforderungen einer nachhaltigen Welt und die offensichtliche Nicht-Nachhaltigkeit der Gegenwart führten auch zu Wuppertaler Phantasien von einer „wunderbaren Welt der Grautöne“ (Mona Neubaur) oder einem Angriff von Aliens als Treiber für global-nachhaltiges Handeln, den die Referentin und zukünftige Astronautin Dr. Suzanna Randall ins Spiel brachte.
Dass Nachhaltigkeit mit Zwiespalt, Zielkonflikten und paradoxen Überfrachtungen verbunden sein kann, verdeutlichte der „Erfinder der Zukunftskunst“ Prof. Dr. Uwe Schneidewind. Der ehemalige Direktor des Wuppertal-Instituts amtiert derzeit als Oberbürgermeister und verabschiedete sich direkt nach seinem Eröffnungsvortrag, um Wuppertal auf der Expo Real, der internationalen Fachmesse für Immobilieninvestitionen in München, zu repräsentieren. Die Anreise erfolgt aus Zeitgründen wahrscheinlich per Flugzeug, wie die Essener Beigeordnete Simone Raskob vom Podium aus vermutete….
Hinweise
NRW 2030: Programmablauf Nachhaltigkeitstagung 2024
https://nrw-nachhaltigkeitstagung-2024.de/programm/programm.html
NRW 2030: NRW-Nachhaltigkeitstagungen
https://nachhaltigkeit.nrw.de/nachhaltigkeitstagungen
Grenzlandgruen - 17:54 @ Akteure und Konzepte | Kommentar hinzufügen
Archiv
2024: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2023: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2022: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2021: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2020: | Oktober | November | Dezember |
Kategorien
- alle
- Allgemein
- Europa
- Region
- Kreis Viersen
- Schwalmtal
- Akteure und Konzepte
- Umwelt und Gesundheit
- Wirtschaft und Finanzen
- Raumplanung und Regionalentwicklung
- Kultur und Bildung
- Infrastrukturen und Daseinsvorsorge
- Strukturwandel im Rheinischen Revier
- Meckereien und Gemopper
- Grenzlandgrünschnitt
- Bündelmüll
- Medienhinweise
Kommentar hinzufügen
Die Felder Name und Kommentar sind Pflichtfelder.