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29.12.2020
Wasser 2027: Das ererbte Gut verteidigen
„Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.“ – So beginnt die vor 20 Jahren in Kraft getretene europäische Richtlinie zur Wiederherstellung der Wasserqualität. Grundwasser, Flüsse, Bäche und Seen waren damals und sind heute noch mehrheitlich in einem schlechten ökologischen Zustand. Dies zu ändern, ist Nachhaltigkeitspflicht. Denn auch künftige Menschen brauchen sauberes Wasser. Die ursprünglich für 2015 und dann für 2021 vorgesehenen Qualitätsziele wurden und werden in NRW krachend verfehlt. Ohne Trendumkehr wird es 2027 nicht anders sein…
Hochrot, träge und verschlammt. So beschrieb Friedrich Engels die Wupper im März 1839. Sie böte insgesamt eine „jämmerliche Erscheinung“. Nicht nur die Farb- und Gerbstoffe der Textilfabriken rund um Krefeld, Mönchengladbach oder Elberfeld verwandelten lebendige Gewässer zu Abwasserkanälen. Schon in der Anfangsphase der Industrialisierung war von Raubbau und lebensgefährlichem Fortschritt die Rede. An vielen Stellen hat sich die Wasserqualität mittlerweile sichtbar verbessert, aber gleichzeitig auch unsichtbar verschlechtert. Mikroplastik aus Reifenabrieb, Arzneimittelrückstände mit hormoneller Wirkung, nicht abbaubare Ewigkeitschemikalien – auch heute belasten die mit der Industrie verbundenen wirtschaftlichen Entscheidungen und die daraus entstehenden ökologischen Sachzwänge unseren Wohlstand und unsere Gesundheit.
Die Nebenwirkungen und Folgekosten der wirtschaftlichen Modernisierung sind mittlerweile Herausforderungen, die über unsere politischen Kräfte hinauszuwachsen drohen: Erderhitzung, Artensterben, Pandemien, schlechte Luft und verunreinigtes Wasser. „An den Gewässern in Nordrhein-Westfalen sind 150 Jahre Industriegeschichte nicht spurlos vorübergegangen“, stellte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser am 22. Dezember 2020 lakonisch fest.
Damit startete sie den NRW-Beitrag zur dritten Runde im europaweiten Wettbewerb zur Verbesserung der Flüsse, Bäche und Seen. Wasser nachhaltig nutzen, möglichst keine gefährlichen Stoffe einleiten, Feuchtgebiete, Uferzonen und aquatische Artenvielfalt schützen, die Auswirkungen von Dürren und Überschwemmungen gestaltend mindern…
Bis zum 21. Juni 2021 findet auch in NRW die europaweit vorgeschriebene - Öffentlichkeitsbeteiligung zum Entwurf des dritten Bewirtschaftungsplans 2022- 2027” statt. Mit einer etwas umständlichen Online-Beteiligung können sich die Bürger*innen zu dem neuen Plan äußern.
„Kommunikationsexperten hätten den Verantwortlichen ganz sicher eine Online-Lösung empfohlen, die benutzerfreundlicher gewesen wäre“. So fasst der renommierte Wasserblogger Siegfried Gendries seine Kritik an der Beteiligungsplattform zusammen.
Besondere Ambitionen, Vorreiter im europäischen Standortwettbewerb um gutes Wasser zu werden, zeigt NRW nicht. Und das, obwohl es beim „guten Wasser“ auch um ein bisher verfehltes Menschheitsprojekt geht: die Harmonisierung des natürlichen und ökonomischen Stoffwechsels. Wasserschutz ist unabdingbarer Bestandteil des Green deal und der ökologischen Transformation der Industriegesellschaft.
Zwar kündigt die Umweltministerin über 10.000 Maßnahmen an, rechnet aber damit, dass bis 2027 allenfalls 11% der nordrhein-westfälischen Wasserkörper die europäischen Qualitätsziele erreichen werden. Dies beträfe vor allem das Wasser im Mittelgebirge, in der Eifel und im Sauerland. Chemische Ziele beim Grundwasser werden voraussichtlich in 58% der Fälle verfehlt. Der Nitratgehalt ist in 49% aller Grundwasserkörper in NRW, aber flächendeckend im Grenzland an Niers, Schwalm und Nette zu hoch.
An den negativen Trends kann Politik wohl nur was ändern, wenn sie das Landeswassergesetz wasserfreundlicher gestaltet als bei der derzeitigen Novellierung vorgesehen. Ohne hinreichend strenge Verbote und Verpflichtungen, ohne deutliche Vorkaufs- und Enteignungsrechte, ohne genügend Geld und Fachpersonal für das Gewässermanagement sind die Ziele nicht zu erreichen. Koalitionsvertrag, naturvergessene Wirtschaftsentfesselung, die Agrarpolitik oder die Umsetzung des Düngerechts stehen derzeit nicht gerade für dauerhaften Erhalt und Verbesserung der natürlichen Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen im dicht besiedelten Industrieland.
„Gutes Wasser“ darf nicht weiter nur Thema weniger engagierter Menschen im Umweltministerium, bei den Naturschutz- und Wasserverbänden oder bei den Bezirksregierungen, den Kommunalverwaltungen oder Wasserverbänden bleiben. „Gutes Wasser“ ist ein Standortfaktor. Er ist eine Herausforderung für die Industrie-, Wirtschafts- und Verkehrspolitik. Taktische Manöver gegen die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, die üblichen Vorwürfe „ideologiegesteuert, weltfremd und wirtschaftsfeindlich“ oder die Hoffnung auf teure technische Lösungen helfen dem Wasser nicht weiter.
Siegfried Gendries fordert stattdessen „Transparenz schonungslose Offenheit und die Einbindung der Zivilgesellschaft: „Es braucht gesellschaftliche Akzeptanz und Rückendeckung, um auch schmerzhafte Maßnahmen für den Gewässerschutz umzusetzen. Das geht nur im zivilgesellschaftlichen Konsens. Die Öffentlichkeitsarbeit ist eine erfolgskritische Maßnahme. Insoweit sind die Verantwortlichen aufgefordert, das gleichermaßen komplexe wie komplizierte 3. Bewirtschaftungsprogramm zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie nicht nur für Experten verständlich darzustellen. Der Erfolg der Kommunikation misst sich nicht daran, was man alles getan und geschrieben hat, sondern ob es für die Zielgruppen verständlich war. Da gibt es wohl auch noch einiges zu tun.“
Grenzlandgruen - 08:09 @ Europa, Umwelt und Gesundheit, Infrastrukturen und Daseinsvorsorge | Kommentar hinzufügen
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