Freitag, 11. Juni 2021
SVEN als ÖPNV-Brücke und Stromspeicher?
2021 werde das „Shared Vehicle Electric Native“ (SVEN) durch das niederrheinische Grenzland fahren. Das hatte Tafil Pufja auf einer VHS-Grenzlandgrün-Veranstaltung am 11. Oktober 2018 versprochen. SVEN böte die Möglichkeit, individuell zugeschnittene Mobilitätsangebote für den Einzelnen zu entwickeln und diese effizient mit dem Öffentlichen Personennahverkehr zu verzahnen. Das könne helfen, Individualverkehr und damit einhergehende Emissionen zu reduzieren, so der damalige Geschäftsführer der NEW-Re GmbH.
Wenige Wochen zuvor, am 29. September 2018 hatte Pufja in Düren auf dem grünen Kongress zur Frage „Was kommt, wenn die Kohle geht?“ SVEN als ein Element für die zukunftsfähige Mobilität im Rheinischen Revier angepriesen. SVEN wurde im März 2019 auf dem Genfer Autosalon präsentiert. Im selben Jahr fand auf dem Heavy-Metal-Festival in Wacken eine Premiere statt. Eins der Camps wurde mit grünem Strom aus einer Fotovoltaik-Anlage versorgt. Als Stromspeicher diente ein Nissan-Elektroauto.
Pufjas Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Die NEW sind mittlerweile mit einem Schaden von 1,7 Millionen aus dem Projekt SVEN ausgestiegen. Es war rechtlich nicht haltbar, weil der NEW-Vorstand es im Widerspruch zur Gemeindeordnung und ohne Abstimmung mit den gewählten Vertretungen der Städte Mönchengladbach und Viersen und des Kreises Heinsberg entwickelt hatte. Dass ein örtlicher Versorger sich am Bau von Elektrofahrzeugen beteiligt, ist unvereinbar mit den materiell-rechtlichen Vorgaben der Kommunalverfassung. Der Rat der Stadt Mönchengladbach hatte im März 2020 darum gebeten, in einem Rechtsgutachten auch Haftungsansprüche zu prüfen. Ein ihm am 19. Mai 2021 vorgelegtes Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Luther, bestätigte -so die Mönchengladbacher Stadtverwaltung - dass keinem Organmitglied der NEW AG oder der Smart City GmbH ein haftungsbegründender Sorgfaltspflichtverstoß vorgeworfen werden könne. Offenbar ging es den Beteiligten um schnelle, aber nicht unbedingt um gründliche Entscheidungen. Heute ist Tafil Pufja Geschäftsführer der Willicher Stadtwerke. Die bieten E-Carsharing mit einem BMW i3.
Noch fehlen die fördernden Rahmenbedingungen, die E-Carsharing zu einem lukrativen Geschäftsmodell machen. Vielleicht könnte SVEN weiterentwickelt werden, wenn die kleinen Autos am Niederrhein nicht nur Lücken im Öffentlichen Personenverkehr füllen und zum sog. modal split beitragen, sondern auch Kapazitäten für das Speichern und Rückspeisen von - dezentral produziertem - Strom bieten. Dazu hat Windkraft-Pionier Johannes Lackmann im April 2021 einen Text veröffentlicht. Darin plädiert er dafür, Stromversorgung und Mobilität zusammen zu denken. Anstatt für den erneuerbaren Strom teure Kapazitätsreserven zum Beispiel mit Wasserstoff aufzubauen, sei es doch rationaler, die aufwändig produzierten Autobatterien auch für den Stromsektor zu nutzen.
Sonntag, 30. Juni 2019
SVEN und die deregulierte Daseinsvorsorge
Das NEW-Prestigeprojekt SVEN scheitert an kommunalen Vorschriften. Dabei passte es zum „Green City Masterplan Elektromobiltät für die Stadt Mönchengladbach“. Deregulierung und Liberalisierung in den 1990er Jahren sorgten nicht nur für ein Ende der kommunalen Stadtwerke-Monopole, sondern auch für neue Unsicherheiten. Dies gilt auch die „Niederrhein Energie und Wasser“ (NEW). Sie entstand aus ehemals acht eigenständigen Stadtwerken, hat zahlreiche Tochterunternehmen gegründet, steht unter dem Einfluss von RWE/Innogy und im Wettbewerb mit anderen Anbietern, will 2025 digitales Vorzeigeunternehmen sein, beschäftigt 2300 Mitarbeiter, und ist für die Energieversorgung von 780.000 Menschen zuständig. Wer steuert das Unternehmen? Welche Aufgaben hat es? Wer ist für das 2,5 Millionen-Investment rund um SVEN verantwortlich? Wer haftet? Welche Rolle spielen die demokratisch gewählten Kontrolleure zwischen Gemeinnutz und Gewinnorientierung? Wer trifft die verkehrspolitischen Entscheidungen in Viersen oder Mönchengladbach? Der „Fall SVEN“ wirft grundsätzliche Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge auf.
Erfolgsrezept SVEN
Was macht die neuen liberalisierten Stadtwerke in Zeiten des Klimawandels und der Digitalisierung erfolgreich? Das war eine Frage, mit der sich der VHS-Grenzlandgrün-Abend im Oktober 2018 zum „Strom der Zukunft“ beschäftigte. Die damalige Antwort des NEW-Re-Geschäftsführers lautete „SVEN und die Digitalisierung aller Arbeitsprozesse.“ Pufja warb massiv für das von der Aachener Share2Drive GmbH konzipierte Elektroauto für Carsharing und versprach, dass es ab 2021 die Mobilität am Niederrhein bereichern würde. NEW-Geschäftsführer Frank Kindervatter und der NEW-Aufsichtsratschef, der Mönchengladbacher CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Hans-Peter Schlegelmilch präsentierten den Prototyp und das Prestigeprojekt im März 2019 voller Stolz auf dem Genfer Autosalon. Doch jetzt will die NEW-Gruppe auf Anraten der Düsseldorfer Bezirksregierung und des NRW-Kommunalministeriums aus dem Projekt SVEN aussteigen.
SVEN und das Kommunalrecht
Die Mönchengladbacher Fraktion der Linken hatte den Stein ins Rollen gebracht. Sie ließ die Unterlagen zur Vorgeschichte SVENS von der Düsseldorfer Bezirksregierung prüfen. Es ging um die kommunalrechtliche Bewertung der Beteiligung der NEW Smart City an der share2drive GmbH in Höhe von 2.514.000 €. Einmal durch Übernahme eines Geschäftsanteils in Höhe von 14.000 € und Einzahlung in das Wagniskapital der share2drive GmbH in Höhe von 2.500.000 €. Die damit verbundenen Fragen: Durfte die NEW ohne entsprechende Stadtratsbeschlüsse das Geschäft tätigen? Verstößt das Projekt SVEN gegen die wirtschaftlichen Zulässigkeitsbeschränkungen der Paragrafen 107 und 107 a der NRW-Gemeindeordnung (GO)? Werden die im Paragraf 108 der GO NRW festgelegten Vorschriften über die kommunalen Beteiligungen an „Unternehmen und Einrichtungen des privaten Rechts“ eingehalten? Lag Sebastian Greif von der IHK Mittlerer Niederhein mit seiner Einschätzung vom 28. August 2018 falsch , dass die „öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Beteiligung von Kommunen an Unternehmen des privaten Rechts soweit ersichtlich beachtet“ wurden?
Die NEW begründete die Notwendigkeit des am 30. Juli 2018 vor dem Aachener Notar Dr. Thomas Förl in einem Gesellschaftervertrag vereinbarten Projekts mit dem Umbruch im Automobilmarkt hin zur Elektromobilität und der notwendigen Vernetzung von Individualverkehr und öffentlichem Personennahverkehr. Über die Tochtergesellschaft NEW Smart City wollte die NEW ihr Engagement im Bereich Car Sharing mit einem Modellprojekt am Niederrhein und einem speziell auf diesen Markt ausgerichteten Fahrzeug ausbauen. Für den Raum Viersen- Mönchengladbach-Heinsberg böte sich - so die NEW - die Möglichkeit den ÖPNV zu stärken und gleichzeitig die Elektromobilität mit der Verknüpfung zum Individualverkehr zu fördern. In Betracht kämen zudem neue Arbeitsplätze durch den Bau von SVEN in der Region.
Grundlage des verkehrspolitisch hochinteressanten Vertrags waren aber nicht entsprechende Ratsbeschlüsse in den an NEW beteiligten Kommunen, sondern lediglich ein Aufsichtsratsbeschluss vom 7. Juni 2018, zu dem sich Mönchengladbachs Oberbürgermeister Hans-Wilhelm Reiners, Viersens Bürgermeisterin Sabine Annemüller und der Heinsberger Landrat Stephan Pusch enthalten haben. Mit diesem Beschluss sah sich die NEW formal-rechtlich auf der sicheren Seite, da die Gemeindeordnung in erster Linie die Kommunen binde. Das sehen die regionale und die Landesaufsichtsbehörde offenbar ganz anders und halten das Vorgehen der NEW für rechtswidrig.
Die NEW AG gehört zu 39,95 Prozent der Innogy SE (vormals RWE) und zu 60,05 Prozent einer Kommunalholding. Darin haben die Stadt Mönchengladbach mit 63,3 Prozent (z.T. über die EWMG), die Stadt Viersen mit 20,04 Prozent und die Kreiswerke Heinsberg GmbH mit 16,66 Prozent das Sagen. Der NEW-Aufsichtsrat besteht aus fünf Arbeitnehmervertreter(innen) der NEW, fünf Vertreter(innen) der Innogy/RWE, drei der Stadt Mönchengladbach und je einem bzw. einer der Stadt Viersen und des Kreises Heinsberg.
NEW Smart City
Zum Hintergrund: Die NEW Smart City GmbH entstand zum Januar 2018 aus der ehemaligen NEW Metering GmbH. Der bis dahin bestehende Gewinnabführungsvertrag an die NEW AG aus dem Jahre 2008 wurde zum Januar 2018 aufgelöst. Neuer Geschäftsführer wurde der Willicher Stefan Große Venhaus, ehemaliger Leiter der NEW-Controlling-Abteilung. Fünf Monate nach dem Abschluss des Vertrages mit „share2drive“ erhöhte die Gesellschafterversammlung das Stammkapital von 825.000 Euro auf 2 Millionen. Euro und legte folgendes als Unternehmensgegenstand fest: „die Entwicklung und Förderung von Smart City, das heißt die Integration und die Vernetzung der Bereiche Energie, Energieeffizienz, Elektromobilität, Infrastruktur und Telekommunikation a) durch die Entwicklung und den Betrieb von lT-Lösungen und Produktlösungen im energiewirtschaftlichen Umfeld und Umfeld der kommunalen Daseinsfürsorge, u. a. auf der Grundlage von Energiedaten, b) durch die Entwicklung, den Vertrieb intelligenter Messsysteme ("Smart Meter") und deren Software, c) durch die Bereitstellung von öffentlichen Mobilitätsangeboten durch Vernetzung des ÖPNV mit Elektromobilität im Individualverkehr, d) durch die Entwicklung, den Betrieb, die Wartung, die Weiterentwicklung und den Vertrieb von lT-Lösungen zur Buchung und Abrechnung von Mobilitätsangeboten, e) durch den Bau und Betrieb von Infrastruktur, die den Breitbandausbau und Digitalisierung im urbanen und ländlichen Raum unterstützt.“
Politisch heikel waren die beiden letzten Sätze der Mönchengladbacher Vorlage Nr. 3325/IX, mit der die Beteiligung der NEW Smart City GmbH an der share2drive GmbH nachträglich am 11. Oktober 2018 im Rat beschlossen werden sollte: „Das Verlustrisiko für die NEW Smart City GmbH ist in der Entwicklungsphase auf 2,514 Mio. Euro begrenzt, wobei mit erfolgreicher Entwicklung des Prototyps eine Werthaltigkeit gegeben ist. Die Beteiligung wurde bereits umgesetzt, um die Weiterentwicklung des Prototyps nicht zu gefährden. Die Beteiligung ist der Bezirksregierung gemäß § 115 GO anzuzeigen und muss von dieser bestätigt werden.“ Letzteres ist wohl nicht geschehen.
NEW Smart City beteiligte sich zudem mit einem Geschäftsanteil von 196.000 € an der Hub2Go GmbH. Zweck der „Mobility-Sharing-Plattform für smarte Städte“: die Entwicklung, der Betrieb, die Wartung und der Vertrieb von IT-Lösungen zur Buchung und Abrechnung von Mobilitätsangeboten. Mit Hub2Go kann SVEN direkt genutzt und ausgeliefert werden, sobald die Serienproduktion startet. Zusätzlich könne damit jedes Car-Sharing-Unternehmen SVEN in sein Angebot integrieren, wenn es Kunde bei Hub2Go wird, teilte der Branchendienst für Elektromobilität electrive.net am 13.3.2019 mit. Für den NEW-Vorstandsvorsitzenden Frank Kindervatter ist es ein durchaus pfiffiges Geschäftsmodell, denn an jeder weltweiten Vermietung mit Hub2Go verdient die NEW mit.
Kommunale Dienstleistungen
Nach dem verspäteten Bekanntwerden des Vertrags gab es öffentliche Kritik am SVEN-Projekt. Stefan Bresser von der Mönchengladbacher Kreishandwerkerschaft riet von der NEW-Beteiligung ab. Er sah in SVEN eine öffentlich geförderte und an die Energieversorgung gekoppelte Konkurrenz zu ähnlichen Carsharing-Angeboten des Kfz-Gewerbes.
Und damit berührt Bresser grundsätzliche Fragen, die seit der Deregulierung und Liberalisierung kommunaler Dienstleistungen in den 1990er Jahre entstanden sind und sich mit der Digitalisierung und dem demografischen Wandel noch verschärfen werden. Was heißt öffentliche Daseinsvorsorge? Was soll von öffentlicher Hand angeboten werden? Welche Leistungen können von Privatunternehmen übernommen werden? Wer bestimmt darüber? Wo liegen die Grenzen der Marktkonformität? Wieviel kommunale Einbindung verträgt die NEW und wieviel NEW-Eigenständigkeit die Kommunalpolitik? Warum hat der regionale Versorger Stadträte und Bezirksregierung nicht vor dem Gang zum Notar eingebunden? Was wird jetzt aus SVEN?
Das Scheitern des NEW-Engagements bei SVEN und dessen Gründe gehen weit über kommunale Verkehrsfragen hinaus.
Weitere Informationen
Bürgerzeitung für Mönchengladbach und Umgebung: Reihe "Die Causa Sven"