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Freitag, 10. September 2021

"Garzweiler-Paragraf ist verfassungswidrig"

© Manfred Böttcher

Die energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf zur Gewährleistung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung wird für den Tagebau Garzweiler II in den Grenzen der Leitentscheidung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zur Zukunft des rheinischen Braunkohlereviers Garzweiler II vom 5. Juli 2016 festgestellt“.

Zu diesem § 48 des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG) hat der Lüneburger Rechtsprofessor Dr. Thomas Schomerus im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland ein Rechtsgutachten (1) erstellt. Das Fazit: Der Paragraf ist verfassungswidrig.

Leitentscheidung 2016

Es spricht einiges dafür, dass NRW-Landesregierung und RWE sich jenseits der Kohlekommission informell in die Erarbeitung der Kohleausstiegsgesetze eingebracht hat, (2) unter anderem auch, um diesen Paragrafen – womöglich als „Hambach-Kompensation“ - festzuschreiben. Energieminister Andreas Pinkwart betonte häufiger, dass er mit seiner Leitentscheidung ja nur das fortsetze, was die rot-grüne Vorgängerregierung - nach dem Pariser Klimaabkommen - beschlossen habe.

Um die energiewirtschaftliche Notwendigkeit festzustellen, wertete die damalige rot-grüne Regierung neun Studien aus, die sich mit der Energieversorgung bis in die 2050er Jahre beschäftigten. Die älteste war vom März 2012, die jüngste vom Mai 2015. Das Übereinkommen von Paris wurde am 12. Dezember 2015 verabschiedet und trat am 4. November 2016 in Kraft. In der Leitentscheidung (3) vom Juli 2016 bestätigte die Landesregierung ihre positive Stellungnahme zum „Braunkohlenplan Umsiedlung Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich und Berverath“ (4) vom 29. April 2015."

"Evident unsachlich"

Diese Ausgangslage sei jedoch so veraltet, dass der Garzweiler-Paragraph 48 einer juristischen Prüfung nicht standhalte.  Der Gutachter Prof. Dr. Schomerus bezeichnet daher den Garzweiler-Paragrafen als „evident unsachlich“: „Eine gesetzliche Bedarfsfeststellung bedarf einer belastbaren Begründung, einer Erforderlichkeitsprüfung und einer eingehenden Abwägung mit den Auswirkungen auf geschützte Grundrechte betroffener Bürgerinnen und Bürger. Hieran fehlt es. Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Spielraum mit dem Garzweiler-Paragraphen überdehnt. Dass die Weiterführung des Tagebaus und die Verstromung der dortigen Braunkohle mit den Klimazielen vereinbar ist, kann auf Grundlage der Gesetzesmaterialien und sonstigen Erkenntnisse und Gutachten nicht festgestellt werden. Die Annahmen in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung beruhen auf veralteten Annahmen und übersehen die Belange der im Abbaugebiet lebenden Menschen.”

Die von der Landesregierung NRW im März 2021 beschlossene neue Leitentscheidung für das Rheinische Revier zeige zudem, dass die Leitentscheidung von 2016 veraltet ist. Sie könne daher kein tauglicher Maßstab für die Feststellung der energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II sein.

DIW-Gutachten "Kein Grad weiter"

Am 11. Juni 2021 veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung (DIW) das Gutachten „Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze (5) Nach Berechnung der Autor*innen, dürften aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II ab Januar 2021 noch maximal 200 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Rheinischen Revier gefördert werden, um die Pariser 1,5 Grad-Grenze einzuhalten. Die aktuellen Pläne sehen jedoch 780 Millionen Tonnen Braunkohle aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II vor. Die DIW-Studie berechnete die Gesamtmenge Braunkohle, die – bei Erhalt des Hambacher Waldes und der Garzweiler Dörfer inklusive Lützerath – noch maximal aus dem Tagebaukomplex Hambach und Garzweiler gewonnen werden kann. Dieser Vorrat lag Anfang 2021 bei etwa 230 Millionen Tonnen. 

Die Wissenschaftler*innen fassen zusammen: "Weder aus energiewirtschaftlicher noch aus energiepolitischer Sicht gibt es eine Notwendigkeit für einen kompletten Aufschluss der Tagebaufelder entsprechend der überholten Leitentscheidung von 2016. Im Gegenteil, die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend geändert und machen daher nach § 30 Landesplanungsgesetz eine neue Leitentscheidung für das rheinische Braunkohlenrevier zwingend notwendig. Diese muss eine zukünftige (absehbare) Entwicklung bereits heute antizipieren, um für die von Umsiedlung bedrohten Menschen in den Dörfern genauso wie für RWE solide Rahmenbedingungen und Planungsgrundlagen zu schaffen." (5)

Rechtsverletzungen

Schomerus verweist zudem auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021. Aufgrund des großen Anteils an CO2-Emissionen, die mit einer Verstromung der Garzweiler-Kohle einherginge, lässt sich schlussfolgern, dass der Weiterbetrieb des Tagebaus Garzweiler II ohne umfassendes Konzept anderweitiger CO2-Einsparung auch die Freiheitsrechte künftiger Generationen verletze.

Jasmin Ziemacki, Kohleexpertin der Klima-Allianz Deutschland, betont, dass der Bund mit dem §48 ohne vorherige Prüfung auf unzulässige Weise in die Grundrechte der Menschen in den von Abbaggerung bedrohten Dörfern eingreife. „Jetzt muss die nächste Bundesregierung ran und dafür sorgen, den Paragraphen 48 streichen zu lassen. Um die Klimakrise aufzuhalten, muss der Kohleausstieg beschleunigt und der Tagebau Garzweiler II vor den Dörfern gestoppt werden.” (6)

Anmerkungen

1. Univ.-Prof. Dr. iur. Thomas Schomerus: Gutachten zur Feststellung des energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Bedarfs für den Tagebau Garzweiler II nach § 48 Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG). [Online] August 2021. [zuletzt abgerufen am: 10. September 2021.]
https://www.klima-allianz.de/fileadmin/user_upload/Dateien/Bilder/Content/Presse/KVBG_Gutachten_Schomerus_KAD.PDF

2. energiezukunft: Bislang geheime Treffen zwischen Laschet und RWE. [Online] 24. August 2021. [zuletzt abgerufen am: 10. September 2021.] https://www.energiezukunft.eu/politik/bislang-geheime-treffen-zwischen-laschet-und-rwe/

3. Landesregierung NRW: Eine nachhaltige Perspektive für das Rheinische Revier. Leitentscheidung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zur Zukunft des Rheinischen Braunkohlereviers / Garzweiler II. [Online] 5. Juli 2016. [zuletzt abgerufen am: 4. September 2021.] 
https://www.wirtschaft.nrw/sites/default/files/asset/document/leitentscheidung_5_07_2016.pdf

4. Bezirksregierung Köln: Braunkohlenplan Umsiedlung Keyenberg, Kuckum, ober- und Unterwestrich und Berverath. [Online] 29. Oktober 2015. [zuletzt abgerufen am: 4. September 2021.]https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/leistungen/abteilung03/32/braunkohlenplanung/braunkohlenplaene/plan_keyenberg_kukum/textliche_darstellung.pdf

5. Rieve, Catharina; Herpich, Philipp; Brandes, Luna; Pao-Yu, Oe; Kemfert, Claudia; von Hirschhausen, Christian. DIW: Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. [Online] 11. Juni 2021. [zuletzt abgerufen am: 10. September2021.] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf

6. Klima-Allianz Deutschland. Rechtsgutachten: Garzweiler-Paragraph im Kohleausstiegsgesetz verfassungswidrig. [Online] 9. September 2021. [zuletzt abgerufen am: 10. September 2021.]https://www.klima-allianz.de/presse/meldung/rechtsgutachten-garzweiler-paragraph-im-kohleausstiegsgesetz-verfassungswidrig

 

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