Suchen
25.05.2022
SIPRI & Co: Sicherheits-, Entwicklungs- und Umweltpolitik zusammendenken
Sicherheitspolitische Perspektiven können den Blick auf die Risiken eines politischen und wirtschaftlichen Handelns schärfen, das auf eigenen Interessen beruht und Wohlstand zu Lasten von Mensch und Natur erzeugt.
1966 hat das schwedische Parlament das „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) ins Leben gerufen. Das zum großen Teil aus schwedischen Staatsmitteln finanzierte Institut arbeitet eng mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union zusammen und versorgte bisher Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Medien mit weltweiten Daten und Analysen zu militärischen Fragen. Besonders bekannt: die jährlichen Berichte zu den Rüstungsexporten.
Unter Federführung der ehemaligen EU-Umweltkommissarin und schwedischen Außenministerin Margot Wallström hat ein Gremium internationaler Umwelt- und Sicherheitsexpertinnen mehr als 30 Wissenschaftler*innen des SIPRI und anderer Institutionen dazu aufgerufen, ein großes Bild der Weltrisiken und deren Bewältigungsmöglichkeiten zu zeichnen.
Das Ergebnis ist im knapp 100 Seiten umfassenden, am 23. Mai 2022 erschienen Report „Environment of Peace“ (1) zusammengefasst. Dessen Analysen sind beunruhigend. Die Menschheit befinde sich in einer planetarischen Notlage, in der sich Umwelt- und Sicherheitskrisen gegenseitig verstärken. Diese gefährliche Mischung berge komplexe Risiken für den Weltfrieden. Dabei sei die derzeitige internationale Politik in einem fürchterlichen Zustand. SPIEGEL-Online (2) und ZDF - heute (3) berichten ausführlich.
SIPRI richtet einen Weckruf an die Politiker*innen, die Probleme zu erkennen und etwas dagegen zu tun. Politik und Verwaltung bestimmten die Spielregeln und seien daher die Hauptakteure bei einer ganzheitlichen und bewusst inklusiven Bewältigung der Krisen und Risiken, bei der Minderung der Verletzlichkeit und Stärkung der Widerstandskraft. (1)
Kooperation nach dem Motto „Von allen für alle“ sei der neue Realismus. Schnelles Vorausdenken und sofortiges Handeln seien ebenso erforderlich wie das Einkalkulieren unerwarteter Risiken. (4). Finanzmärkte sollten mit Sensibilität für Konflikte und Gerechtigkeit so reguliert werden, dass sie Frieden und Umweltintegrität fördern.
„Natur und Frieden sind so eng miteinander verbunden, dass die Schädigung des einen das andere belastet, während die Förderung des einen das andere stärkt. Handeln ist möglich. Und die Zeit zum Handeln ist jetzt”, mahnte SIPRI-Direktor Dan Smith im Gespräch mit der Deutschen Welle (5).
Ein ähnlicher Appell ging bereits vor 50 Jahren von Stockholm aus: „Die menschliche Umwelt für gegenwärtige und künftige Generationen zu schützen und zu verbessern, ist zu einem unumgänglichen Ziel der Menschheit geworden, einem Ziel, das gleichzeitig und in Übereinstimmung mit den feststehenden und fundamentalen Zielen des Friedens und der weltweiten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung angestrebt werden muss.“ […] Örtliche Verwaltungen und nationale Regierungen werden die Hauptlast breit angelegter Umweltpolitik und entsprechender Maßnahmen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen tragen.“ (6)
Die Stockholmer Erklärung hat 1972 das vorweggenommen, was das Bundesverfassungsgericht mit seinem Klimaurteil (7) bestätigt hat: „Der Mensch hat ein Grundrecht auf Freiheit, Gleichheit und angemessene Lebensbedingungen in einer Umwelt, die so beschaffen ist, dass sie ein Leben in Würde und Wohlergehen ermöglicht, und hat die feierliche Pflicht, die Umwelt für gegenwärtige und künftige Generationen zu schützen und zu verbessern.“(6)
Viele Menschen haben tolle Ideen und Visionen von einer gerechten, friedlichen und gesunden Welt. Staatenlenker*innen haben derartige Ideen in internationale Verträge und Abkommen geschrieben. Was fehlt, sei der „Zauberstab, mit dem man Frieden schnell herbeiführen kann“, sagt der UN-Untergeneralsekretär Achim Steiner im ZEIT-Gespräch mit Christiane Grefe. (8)
Ähnlich wie SIPRI appelliert Steiner an die Regierungen, endlich Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Entwicklungs- und Umweltpolitik strategisch zusammenzuführen: „Womöglich haben wir es in den letzten 20, 30 Jahren tatsächlich vernachlässigt, die Vereinten Nationen als Instanz für politische Prävention zu stärken. In der Globalisierungseuphorie nach dem Ende des Kalten Krieges wurden ihre Institutionen von vielen als anachronistisch angesehen. Angesichts der aktuellen Bedrohung wird aber wieder offensichtlich: Wir haben keinen anderen Ort, an dem wirklich alle Länder der Welt vertreten sind. Und ja: Die Vereinten Nationen bilden seit Jahrzehnten das Rückgrat der Weltgemeinschaft in allen Krisen.“ (8)
Seit Jahrzehnten gibt es Zweifel an dieser Behauptung. Politiker*innen aus dem globalen Süden kritisieren, dass die Regeln der Vereinten Nationen westlich dominiert seien und fordern eine globale Weltordnung mit einer gerechteren Machtverteilung.
Notwendig ist zudem, dass die Staatengemeinschaft der - durch NGO’s und Rechtsanwälte vertretenen - Natur einklagbare Rechte verleiht. Bisher galt Natur als Objekt menschlichen Handelns. Jetzt werde “ausgerechnet die überhitzte, übernutzte, vermüllte und vergewaltigte Natur” zum Subjekt, das die Zivilisation zivilisiere, bemerkt heute der ZEIT-Redakteur Thomas Assheuer. Im Geiste Kants fordert er vom Menschen, das Unerreichbare zu versuchen, um das Unvorstellbare zu verhindern. (9)
Verweise
1. SIPRI. Environment of peace. Security in a new era of risk. [Online] 23. Mai 2022. https://www.sipri.org/sites/default/files/2022-05/environment_of_peace_security_in_a_new_era_of_risk_0.pdf
2. SPIEGEL-online. Welt steuert auf neues »Zeitalter der Risiken« zu. [Online] 23. Mai 2022. https://www.spiegel.de/ausland/sipri-bericht-welt-steuert-auf-neues-zeitalter-der-risiken-zu-a-87816b03-9258-4c43-9bb3-915a1e9509f0
3. ZDF heute. Friedensforscher zeichnen düsteres Bild. [Online] 23. Mai 2022. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/sipri-bericht-friedensforscher-risiko-zeitalter-sicherheitslage-100.html
4. SIPRI. World stumbling into a new era of risk, concludes SIPRI report. [Online] 23. Mai 2022. https://www.sipri.org/media/press-release/2022/world-stumbling-new-era-risk-concludes-sipri-report
5. Bosen, Rolf;. SIPRI: Welt stolpert in Ära neuer Gefahren. Deutsche Welle. [Online] 23. Mai 2022. https://www.dw.com/de/sipri-welt-stolpert-in-%C3%A4ra-neuer-gefahren/a-61866997
6. Erklärung der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen nach Abschluss ihrer Tagung in Stockholm 5.-15. Juni 1972
7. Bundesverfassungsgericht. Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18. [Online] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html
8. Steiner, Achim und Grefe, Christiane. “Arm zu sein, ist in Krisenzeiten äußerst kostspielig”. ZEIT-ONLINE. [Online] 21. Mai 2022. https://www.zeit.de/kultur/2022-05/achim-steiner-russland-ukraine-krieg-vereinte-nationen-ernaehrungskrise-multilateralismus/komplettansicht
9. Assheuer, Thomas. Himmel in Flammen. DIE ZEIT. 25. Mai 2022, S. 55f
Grenzlandgruen - 19:43 @ Allgemein, Akteure und Konzepte | Kommentar hinzufügen
Archiv
2024: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober |
2023: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2022: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2021: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2020: | Oktober | November | Dezember |
Kategorien
- alle
- Allgemein
- Europa
- Region
- Kreis Viersen
- Schwalmtal
- Akteure und Konzepte
- Umwelt und Gesundheit
- Wirtschaft und Finanzen
- Raumplanung und Regionalentwicklung
- Kultur und Bildung
- Infrastrukturen und Daseinsvorsorge
- Strukturwandel im Rheinischen Revier
- Meckereien und Gemopper
- Grenzlandgrünschnitt
- Bündelmüll
- Medienhinweise