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14.11.2022
Geheimnisvolle Langstreckenheldinnen: Pfuhlschnepfen
Eine fünf Monate alte Pfuhlschnepfe (Limosa Lapponica) flog vom 13. bis 25. Oktober 2022 ohne Zwischenstopp 13.560 Kilometer vom Yukon-Kuskokwim-Delta in Südwestalaska auf die Ansons Bay an der nordöstlichen Spitze der südlich von Australien gelegenen Insel Tasmanien. Ein Internationales Forschungsteam unter Beteiligung des (ehemaligen) Max-Planck-Instituts für Ornithologie hatte im Rahmen der Vogelzugbeobachtung der Pfuhlschnepfe die Nr. 234684 verpasst und mit einem fünf Gramm leichten 5 G-Satelliten-Sender und einem winzigen Solarpanel ausgestattet. Die gemeldete Distanz sei weltrekordverdächtig, aber noch sei nicht klar, ob sich der Vogel verirrt hat oder ob er Teil einer normalen Vogelwanderung war, sagt Eric Woehler von BirdLife Tasmania (1).
Dennoch hat die Meldung fasziniert. Berichte im „Spiegel“ (2) oder „Standard“ (3) lösten eine angeregte Diskussion unter den Leser*innen aus. Sean Dooley von Birdlife Australia weist noch auf eine weitere Besonderheit hin, die mit dem vermeintlichen Rekordhalter verbunden ist: „Das Erstaunlichste ist, dass die Jungvögel getrennt von den erwachsenen Vögeln ziehen. Die erwachsenen Vögel verlassen die Arktis manchmal bis zu sechs Wochen früher”. Die Jungvögel würden diese Zeit damit verbringen, sich für die lange Wanderung in den Süden zu mästen. Dooley vermutet, dass die junge Pfuhlschnepfe Nr. 234684 in einem Schwarm mit Alterskollegen geflogen sei. Im Oktober 2020 erklärten Wissenschaftler*innen die Pfuhlschnepfe 4BBRW zum „Weltmeister“. Sie flog rund 12.200 Kilometer nonstop in 224 Stunden. (4)
Die in etwa taubengroßen Pfuhlschnepfen gelten als Langstreckenzieher. Sie kündigen im September in Neuseeland den Frühling an. Im April/Mai und September/Oktober sind sie nicht selten im mitteleuropäischen Wattenmeer (5) (6) zu Gast und können dort in größeren Schwärmen von mehreren zehntausend Vögeln auftreten.
Sie brüten an moorigen Stellen oder auf Feuchtwiesen und können bis zu 18 Jahre alt werden. Ende der 1970er gab es erste Indizien dafür, dass sich die Schnepfen durch die Anlage von Fettdepots systematisch auf lange Flüge vorbereiten. Der neuseeländische Ornithologe Richard Sibson stellte Mitte der 1980er Jahre erstmals die Vermutung auf, die Vögel würden nonstop von Alaska nach Neuseeland fliegen. Dies konnte die Pfuhlschnepfe E7 im Jahre 2007 bestätigen. (7)
2010 wurde erstmals der niedrige Energieverbrauch des Schnepfen-Langstreckenflugs nachgewiesen. Er warf die theoretischen Berechnungen zur Energetik des Vogelflugs über den Haufen, denn tatsächlich flogen die Vögel doppelt so lang wie wissenschaftlich vorhergesagt. 2021 wurde die erste Pfuhlschnepfe entdeckt, die nach 2000 Kilometern auf ihrem Flug von Alaska nach Neuseeland wegen ungünstiger Windbedingungen wieder umkehrte. (8)
Im Februar 2022 veröffentlichte eine Gruppe von Ornitholog*innen eine Auswertung zahlreicher Studien zum Vogelflug. Sie machten damit deutlich, warum
- die systematischen Vogelbeobachtungen mit Hilfe der Tracking - Technologien grundsätzliche Forschungsfragen aufwerfen,
- den reduktionistischen und mechanistischen Ansatz westlicher Wissenschaften in Frage stellen und
- alten Mythologien polynesischer Kulturen womöglich eine neue Relevanz verschaffen können. Sie fordern daher, die ornithologische Forschung im pazifischen Raum zu intensivieren (9).
Warum können sich Vögel tagelang ununterbrochen bewegen, ohne zu schlafen? Oder können Vögel mit einer Gehirnhälfte schlafen? (10) Verfügen sie über besondere Kompensationsmechanismen für Schlafdefizite? Wie funktioniert deren Navigationssystem? Was hat das pazifische Windsystem damit zu tun? Welche ökologischen Faktoren beeinflussen den Flug? Woher nehmen die Vögel die Energie? Was sind die Spezifika des Vogelköpers, die derartige Meisterleistungen ermöglichen? Warum kann die Forschung bis heute die energetischen Ausdauerleistungen der Zugvögel nicht zufriedenstellend erklären? Warum kommen die Pfuhlschnepfen mit viel weniger Energie aus als mit den bisherigen gebräuchlichen Berechnungen vorhergesagt wird? Verfügen sie über eine Art saisonale Uhr? Können sich Pfuhlschnepfen an den Klimawandel anpassen? Wie lernfähig sind sie?
Die Menschen können wohl noch einiges von den Langstreckenheldinnen lernen, wenn sie ihre Lebensbedingungen pflegen. Pfuhlschnepfen sind in ihrem Bestand bedroht und wurden 2015 auf die Internationale Rote Liste gefährdeter Arten gesetzt…
Verweise
1. The Wildlife Society. From Alaska to Australia, godwit may have set migration record. [Online] 31. Oktober 2022. https://wildlife.org/from-alaska-to-australia-godwit-may-have-set-migration-record/
2. DER SPIEGEL. Junger Zugvogel bricht wohl Weltrekord. [Online] 29. Oktober 2022. https://www.spiegel.de/panorama/junger-zugvogel-bricht-wohl-weltrekord-a-27ffc523-d816-40e2-9d58-c59884f70183
3. Taschwer, Klaus: Junge Pfuhlschnepfe fliegt in elf Tagen nonstop 13.560 Kilometer weit. [Online] 27. Oktober 2022. https://www.derstandard.at/story/2000140320022/junge-pfuhlschnepfe-fliegt-in-elf-tagen-nonstop-13-560-kilometer
4. Krumenacker, Thomas: Neuer Weltrekord im Nonstop-Flug. Süddeutsche Zeitung. [Online] 15. Oktober 2020. https://www.sueddeutsche.de/wissen/zugvoegel-pfuhlschnepfe-rekorde-tierreich-1.5073106
5. Schutzstation Wattenmeer. Die Pfuhlschnepfe. [Online] [Zitat vom: 14. November 2022.] https://www.schutzstation-wattenmeer.de/wissen/tiere/voegel/pfuhlschnepfe/
6. Nationalpark Wattenmeer. Monatsvogel im Januar: Pfuhlschnepfe. [Online] [Zitat vom: 14. November 2022.] https://www.nationalpark-wattenmeer.de/wissensbeitrag/pfuhlschnepfe/
7. NABU. 11.600 Kilometer nonstop: Vogelflug-Weltrekord. Pfuhlschnepfe „E7“ verbessert dank Rückenwind eigene Bestmarke. [Online] 18. Juli 2007. https://www.nabu.de/news/2007/07146.html#:~:text=Pfuhlschnepfe%20%E2%80%9EE7%E2%80%9C%20verbessert%20dank%20R%C3%BCckenwind,den%20pazifischen%20Ozean%20ohne%20Zwischenlandung
.
8. GEO. 57 Stunden umsonst geflogen: Glücklose Pfuhlschnepfe muss umdrehen. [Online] 20. September 2021. https://www.geo.de/natur/tierwelt/57-stunden-umsonst-geflogen–gluecklose-pfuhlschnepfe-muss-umdrehen–30756750.html
9. Piersma, Theunis; u.a.:. The Pacific as the world’s greatest theater of bird migration: Extreme flights spark questions about physiological capabilities, behavior, and the evolution of migratory pathways. [Online] 5. Februar 2022. https://academic.oup.com/auk/article/139/2/ukab086/6523130?
10. Rattenborg, Niels C: Schlaf zwischen Himmel und Erde. Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, in Gründung (Standort Seewiesen) - Forschungsgruppe Vogelschlaf. [Online] [Zitat vom: 14. November 2022.] https://www.mpg.de/ … 16031/mpio_jb_2017
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