niederrheinisch - nachhaltig 

24.04.2023

SIPRI und OECD: 2.240 Milliarden Dollar für Rüstung und 204 Milliarden für die Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2022

Gerd Altmann auf Pixabay.jpg„Planetarische Notlage, in der sich die Umwelt- und Sicherheitsrisiken gegenseitig verstärken“ - dieses düstere Bild von der “Weiter-So -Welt” zeichneten Wissenschaftler*innen rund um das Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) am 22. Mai 2022 (1).
 
Jetzt verdunkelt sich das Bild weiter. Denn das Jahr 2022 war von zwei vermeintlichen Rekordzahlen geprägt: Die OECD meldete am 12. April 2023, dass die Industriestaaten im Jahre 2022 die Rekordsumme von 204 Milliarden US-Dollar für die Entwicklungszusammenarbeit mit ärmeren Ländern ausgegeben haben (2). Dennoch habe sich die globale Armut verschärft, sagt OECD-Generalsekretär Mathias Corman. Zu der sog. „Official Development Assistance“ (ODA) zählt auch die Aufnahme von Geflüchteten. Deren Kosten beziffert die OECD für 2022 mit insgesamt 29,3 Milliarden US-Dollar. Die ODA im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine belief sich 2022 auf 16,1 Milliarden US-Dollar. (2) Experten merken seit Jahren an, dass Ausgaben für Geflüchtete in Industriestaaten keine Kernaufgabe der Entwicklungszusammenarbeit seien. Werden sie als ODA-Ausgaben angerechnet, stehen sie nicht für die Entwicklung in ärmeren Ländern oder die Unterstützung der Bevölkerung vor Ort zu Verfügung.

SIPRI meldete am 24. April 2023, dass die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2022 real um 3,7 Prozent auf das Allzeithoch von 2.240 Milliarden US-Dollar gestiegen seien. Gebremst worden sei dieser Anstieg durch die Auswirkungen der Inflation. Sie sei in vielen Ländern auf ein seit Jahrzehnten nicht mehr gesehenes Niveau gestiegen. 

Besonders rückläufig waren daher die Militärausgaben in der Türkei (3). Aber auch  Brasilien, Israel, Mexiko, Kuwait, Italien, Rumänien oder Thailand gaben 2022 weniger für Rüstung als im Vorjahr. (4) In Afrika sanken die Militärausgaben um durchschnittlich 5,3%, in Mittelamerika um 6,2%. (4)

An der Spitze der globalen Rüstungsausgaben standen 2022 die USA mit 877 Milliarden US-Dollar und 3,5% ihres Bruttoinlandprodukts. Das waren 2022 39% der weltweiten Militärausgaben.  China folgt mit geschätzten 292 Milliarden US-Dollar, 1,6% des BIP und 13% der weltweiten Militärausgaben, Russland (86,4 Milliarden – 4,1 % vom BIP und 3,9 % des BIP), Indien (81,4 Milliarden – 2,4% BIP und Saudi-Arabien (geschätzt 75 Milliarden US-Dollar – 7,4 % des BIP) . Deutschland liegt im globalen Ranking mit 55,8 Milliarden; 1,4% des BIP) liegt weiterhin auf Platz 7, (4).
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Hätte Deutschland im Jahr 2022 das berühmte 2 Prozent-Ziel der NATO erfüllt, wäre es jetzt unter den Top 5 und in Europa auf Platz 1 dieser bedrohlich wirkenden “Hitparade”. Das 2022 beschlossene „Sondervermögen“ für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro wird sich erst in den kommenden Jahren auf das Ranking auswirken.

Die durchschnittlichen Militärausgaben in Europa verzeichneten mit einem Plus von 13 Prozent den stärksten jährlichen Anstieg seit mindestens 30 Jahren.  Real übertrafen die europäischen Ausgaben erstmals die Ausgaben von 1989, als der Kalte Krieg zu Ende ging.

Das lag vor allem am Ukraine-Krieg. “Der kontinuierliche Anstieg der weltweiten Militärausgaben in den letzten Jahren ist ein Zeichen dafür, dass wir in einer zunehmend unsicheren Welt leben”, sagt Dr. Nan Tian, Senior Researcher beim SIPRI-Programm für Militärausgaben und Waffenproduktion (3). Das hinge aber auch damit zusammen, dass die NATO ihre Mitglieder dazu drängt, die Rüstungsetats auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, ergänzt SIPRI-Direktor Dan Smith im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (5).

Das europäische Sicherheitsumfeld hat sich verschlechtert. Die politischen Entscheider*innen gehen nicht davon aus, dass es sich in naher Zukunft verbessert. Daher rechnen die SIPRI-Wissenschaftler*innen damit , dass die Militärausgaben in Mittel- und Westeuropa weiter steigen werden. Einige der stärksten Zuwächse seien 2022 in Finnland (+36 Prozent), Litauen (+27 Prozent), Schweden (+12 Prozent) und Polen (+11 Prozent) registriert worden.

Die russischen Militärausgaben seien im Jahr 2022 um geschätzte 9,2 Prozent auf rund 86,4 Milliarden Dollar gestiegen.  “Die Differenz zwischen Russlands Haushaltsplänen und seinen tatsächlichen Militärausgaben im Jahr 2022 deutet darauf hin, dass die Invasion der Ukraine Russland weit mehr gekostet hat als erwartet”, analysiert Dr. Lucie Béraud-Sudreau, Direktorin des Militärausgaben- und Waffenproduktionsprogramms von SIPRI. (3)

Im Jahre 2022 gab die Ukraine 44,0 Milliarden US-Dollar für Rüstungsgüter aus. Mit 640 Prozent war dies der höchste Anstieg der Militärausgaben eines Landes in einem Jahr, der jemals in SIPRI-Daten verzeichnet wurde. Infolge des Anstiegs und des kriegsbedingten Schadens für die ukrainische Wirtschaft stieg die Militärlast (Militärausgaben als Anteil des BIP) von 3,2 Prozent im Jahr 2021 auf 34 Prozent des BIP im Jahr 2022. (4)

Bei der Militärhilfe für die Ukraine gilt Deutschland neben Großbritannien als größtes Geberland in Europa.  Die USA hat der Ukraine im Jahr 2022 Material für 19,9 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Das ist der höchste Betrag, der seit Ende des Kalten Krieges weltweit an ein einzelnes Land ging. (5)

Der 71-jährige Dan Smith leitet SIPRI seit 2015. Das war das Jahr, als die UN ihre Weltnachhaltigkeitsziele verabschiedet hat. Seitdem sei „die Welt ein viel dunklerer Ort geworden“, sagt Smith: „Zwischen 2010 und 2022 wurden doppelt so viele Menschen getötet wie in der Dekade zuvor. Die Zahl der Flüchtlinge hat sich ebenfalls verdoppelt, und es gibt fast doppelt so viele bewaffnete Konflikte, nämlich 58.  Russland hat seine Aggressionspolitik kontinuierlich verschärft. Das Tragische an der Gegenwart ist, dass wir internationale Kooperation noch nie so bitter nötig hatten wie jetzt. Aber es wird ein internationaler Vertrag nach dem anderen aufgekündigt, zuletzt die bilaterale Waffenkontrolle zwischen USA und Russland.“ (5)

Transnistrien, Ruanda, Jugoslawien… Auch in den Jahren nach dem vermeintlichen Ende des Kalten Kriegs herrschte nicht das Paradies auf Erden, aber die Zahl der Kriege ging runter, die der Friedensvereinbarungen stieg. Das Nuklearwaffenarsenal schrumpfe, die Militärausgaben sanken kontinuierlich… bis zum  „Krieg gegen den Terror“, betont Dan Smith. „Die Ausweitung der friedlichen Zonen in diesen Jahren ist meines Erachtens ‚the biggest untold good news story ever‘.“ (5)

Die Rede war damals von „Friedensdividende“, von einer Konversion der Rüstungslasten für friedliche Zwecke. Daraus ist nichts geworden, obwohl sich alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen feierlich zum Verzicht auf jegliche Gewalt verpflichtet haben. (6) Als Inspirationsquelle für die UN-Charta galt Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“- ein philosophischer Entwurf - veröffentlicht im Jahre 1795. Deren satirische Überschrift hatte Kant dem Schild eines holländischen Gastwirts entnommen.

Heute heißt eine Fernsehserie „Krieg der Kneipen“. Rüstungsproduktion gilt als sichere Profitquelle, nicht zuletzt dank staatlicher Nachfrage.  Es geht um die  Absicherung der inneren und äußeren Sicherheit, um imperialistische Bestrebungen zum Beispiel bei der Sicherung von Rohstoffen. Der Markt für Rüstungsgüter expandiert. Seit „der Zeitenwende“ gilt auch die Aussage nicht mehr, dass mehr Waffen einen Konflikt nicht lösen können. 

In welche Gesellschaft passt eigentlich die von Dan Smith beschriebene untold good news story? Wann werden wir demokratisch darüber bestimmen können, wie wir mit dem planetarischen Reichtum umgehen wollen? Und was “sagen die Finanzmärkte” dazu?

Verweise

1. Grenzlandgrün. SIPRI & Co: Sicherheits-, Entwicklungs- und Umweltpolitik zusammendenken. [Online] 25. Mai 2022. https://www.grenzlandgruen.de/Blog;focus=TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279&path=?x=entry:entry220525-194332#C_TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279__-anchor

2. OECD. Foreign aid surges due to spending on refugees and aid for Ukraine. [Online] 12. April 2023. https://www.oecd.org/dac/foreign-aid-surges-due-to-spending-on-refugees-and-aid-for-ukraine.htm

3. SIPRI. World military expenditure reaches new record high as European spending surges. [Online] 24. April 2023. https://www.sipri.org/media/2023/world-military-expenditure-reaches-new-record-high-european-spending-surges-0

4. SIPRI Fact Sheet. Trends in World Military Expenditure, 2022. [Online] April 2023. https://www.sipri.org/sites/default/files/2023-04/2304_fs_milex_2022.pdf

5. Rühle Alex: 2240 Milliarden Dollar für Rüstung im Jahr. 24. April 2023, Süddeutsche Zeitung, S. 7.

Grenzlandgruen - 19:28 @ Allgemein, Europa, Akteure und Konzepte | Kommentar hinzufügen

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