niederrheinisch - nachhaltig 

22.09.2023

Positionspapier und Leitentscheidung: NRW und Erkelenz stellen Weichen für Garzweilers Zukunft

2023-09-22.jpgDie NRW-Landesregierung hat am 19. September 2023 die - vermeintlich - letzte Leitentscheidung (2) zur weiteren Entwicklung des Rheinischen Reviers verabschiedet. Sie umfasst 30 Seiten, auf denen sechs neue Entscheidungssätze zu den Abbaugrenzen, zur Rekultivierung, zur Wasserwirtschaft, zur Raumordnung und zu den Umsiedlungen verkündet und begründet werden. 

Für die sog. Restseen strebt die Landesregierung weiterhin die Befüllung mit Rheinwasser innerhalb von 40 Jahren an. Das umstrittene „Arche-Projekt“ im östlichen Garzweiler-Restloch ist (fast) vom Tisch. Es soll bis 2030 mit dem Abraum von Garzweiler II verfüllt und rekultiviert werden. „Darüber hinaus ist Abraum, Löss und Forstkies zu Rekultivierung externer Bereiche (andere Tagebaue) bereitzustellen.“ Zum Massenausgleich gehöre aber auch „sinnvolle Möglichkeiten zur Anpassung bisheriger Rekultivierungsmaßnahmen zu prüfen und Änderungen dort umzusetzen, wo sie möglich und nachhaltig sind.“

Ähnlich interpretationsoffen sind die wasserwirtschaftlichen Aussagen der Leitentscheidung. Die Ziele der Leitentscheidung 2021 hätten zwar grundsätzlich Bestand, werden aber auch mit Blick auf den Klimawandel fortgeschrieben und “gemeinsam mit den revierweiten Herausforderungen in der Wasserwirtschaft ganzheitlich an die neuen Veränderungen angepasst.”   Dazu werde im NRW-Umweltministerium eine neue Steuerungs- und Koordinierungsgruppe eingesetzt. Was eine revierweite ganzheitliche Anpassung für die Qualität und Quantität des Wassers in Zeiten von Dürre bedeutet, bleibt spannend. Die Feuchtgebiete im  Naturpark Maas-Schwalm-Nette werden in der Leitentscheidung nicht explizit erwähnt.

Volker Mielchen, Geschäftsführer des interkommunalen Zweckverbands Landfolge Garzweiler, ist erleichtert: „Endlich können wir die Planung des 2.200 Hektar großen Sees konkret angehen. Kommendes Jahr werden wir gemeinsam mit vielen Akteuren in der Region den Masterplan dazu erarbeiten.“ (1)

Mit dieser Leitentscheidung werde ein Meilenstein für den Klimaschutz gesetzt und die Versorgungssicherheit und Klarheit für die Menschen in der Region gestärkt, (2) behauptet die NRW-Landesregierung.  Ergänzend veröffentlicht das Wirtschaftsministerium eine Übersicht zu den weiter geltenden Fortschreibungen aus der Leitentscheidung 2021 (3) sowie eine zusammenfassende Darstellung und Auswertung der Öffentlichkeitsbeteiligung. (4)

Damit gehen mehr als 200 Jahre klimaschädlicher Braunkohleabbau in der niederrheinischen Region allmählich dem Ende zu. Die Folgen auf der größten Landschaftsbaustelle Europas werden aber noch Jahrhunderte zu spüren sein. Nach und nach wird aus der Vision der Rheinischen Seenlandschaft mit ihren angeblich vielfältigen inklusiven Zukunftsräumen eine reale und historisch einmalige Herausforderung mit vielen offenen Fragen. Mit ihnen werden sich die kommunalen und regionalen Entscheider*innen, die betroffenen Menschen und Unternehmen und womöglich die Gerichte beschäftigen müssen.

Lützerath war somit der letzte Ort, der für die Braunkohle im Rheinischen Revier vollständig zerstört wurde. Die seit 2016 laufenden Umsiedlungen der Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich und Berverath sowie der der Feldhöfe Roitzerhof, Eggerather Hof und Weyerhof seien nun „bergbaulich nicht mehr erforderlich“ und sollen bis zum 30. Juni 2026 „sozialverträglich beendet“ werden. Die Landesregierung geht davon aus, dass bis 2025 ein neuer Braunkohlenplan Garzweiler II rechtskräftig ist und eine nachvollziehbare Planung dafür vorliegt, wie aus den derzeit verfallenden Ortschaften Zukunftsdörfer werden können.

Dazu hat der Erkelenzer Stadtrat am 20. September 2023 ein Positionspapier beschlossen, das die Ziele und Eckpunkte für eine nachhaltige Entwicklung des wiedergewonnen Raumes beschreibt (5). 

Darin geht es um die Erweiterung der Baumalleen, die Optimierung der Erkelenzer Bördelandschaft mit ihren besonders wertvollen Böden, um großzügige Grünflächen für Naherholung und Klimaanpassung, um eine moderne, kleinteilige Landwirtschaft oder um den Ausbau des Straßen-, Rad-, Reit- und Wanderwegnetzes und eines ÖPNV mit autonomem Fahren und Car- und Bikesharing. Die alten Siedlungsflächen und die städtebaulich prägenden Strukturen der fünf Dörfer sollen erhalten bleiben und erneuert werden. 

Wie eine Siedlungserweiterung Keyenbergs in Richtung Garzweiler See aussehen könnte, möchte der Erkelenzer Rat den Entscheidungsträger*innen in den 2040er Jahren überlassen.

Die werden dann in Ruhe begutachten können, was aus dem weiter geltenden NRW-Leitbild des Umbaus des Rheinischen Reviers von einer vom Kohlebergbau geprägten hin zu einer nachhaltigen Mobilitäts-, Industrie- und Energieregion geworden ist. Noch ist nicht absehbar, welche Rolle RWE dann im Rheinischen Revier spielen wird, ob die energieintensive Industrie des Reviers bis 2040 klimaneutral oder gar nicht mehr produziert, ob die Energieversorgung zu 100% erneuerbar ist oder ob die grüne Wasserstofftechnologie oder die neue Mobilität mit autonomem Fahren und Flugtaxis Realität geworden sind.

Der BUND NRW hält im Gegensatz zur NRW-Landesregierung den 19. September 2023 für keinen guten Tag für den Klimaschutz in NRW. Thomas Krämerkämper, stellvertretender Landesvorsitzender, bewertet die Leitentscheidung: „Es ist lobenswert, dass die Dörfer geschützt und ein neues Biotopverbundsystem geschaffen werden sollen. Doch trotz dieser positiven Ansätze ist ein Ausstieg erst im Jahr 2033 aus klimapolitischer Sicht noch immer deutlich zu spät. Der bis dato geplante Abbau weiterer 280 Millionen Tonnen Braunkohle ist viel zu hoch und eine schwere Hypothek für den Klimaschutz in NRW.“ 

Die Verkürzung des Tagebaubetriebs sei mit verlängerten Kraftwerkslaufzeiten und neuen Gaskraftwerken als Abschiedsgeschenk der Landesregierung an RWE teuer erkauft, die Probleme beim Klima- und Gewässerschutz blieben ungelöst. Die Landesregierung werde diese Politik nicht durchhalten und diese Leitentscheidung werde nicht die letzte bleiben. (6)

Doch zunächst entscheidet die Bundesregierung bis zum 30. September 2023, ob die Laufzeit der 600-Megawatt Blöcke D und E des Kraftwerks Neurath vom 31. März 2024 auf den 31. März 2025 verlängert wird.

Verweise

1. Landfolge Garzweiler. Braunkohle: Leitentscheidung schafft verlässliche Rahmenbedingungen für Gestaltung der Zukunft am Tagebau Garzweiler. [Online] 21. September 2023. https://landfolge.de/wp-content/uploads/Presseinformation-Zweckverband-Landfolge-Garzweiler-Leitentscheidung-2023-092023-.pdf

2. Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Leitentscheidung 2023: Meilensteine für den Klimaschutz, Stärkung der Versorgungssicherheit und Klarheit für die Menschen in der Region. [Online] 19. September 2023. https://www.wirtschaft.nrw/system/files/media/document/file/leitentscheidung-2023.pdf

3. Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Übersicht zu Entscheidungssätzen der Leitentscheidung 2021/2023. [Online] 19. September 2023. https://www.wirtschaft.nrw/system/files/media/document/file/leitentscheidung-2023_anlage-1.pdf

4. Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Zusammenfassende Darstellung und Auswertung der Öffentlichkeitsbeteiligung für die Erarbeitung der Leitentscheidung 2023 der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. [Online] 19. September 2023. https://www.wirtschaft.nrw/system/files/media/document/file/leitentscheidung-2023_anlage-2.pdf

5. Stadt Erkelenz. Zukunftsvision für das Erkelenzer Tagebauumfeld. [Online] [Zitat vom: 22. September 2023.] https://www.erkelenz.de/wirtschaft-klima-stadtentwicklung/strukturwandel-braunkohle/revitalisierung-und-zukunftsperspektiven/

6. BUND NRW. Neue Braunkohle-Leitentscheidung: Trotz geretteter Dörfer kein guter Tag für den Klimaschutz in NRW. [Online] 22. September 2023. https://www.bund-nrw.de/presse/detail/news/neue-braunkohle-leitentscheidung-trotz-geretteter-doerfer-kein-guter-tag-fuer-den-klimaschutz-in-nrw/

Grenzlandgruen - 19:31 @ Strukturwandel im Rheinischen Revier | Kommentar hinzufügen



 

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