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28.12.2021
Dinosaurier 2021: Welche Zukunft hat ein Neubaugebiet für Einfamilienhäuser?
Als „Ankerplatz“ vermarktet die Stadt Emden ihr als landesweit bedeutsam geltendes Baugebiet Conrebbersweg. Auf 75 Hektar Grünland will Oberbürgermeister Tim Kruithoff Neubürger*innen mit einem “smarten Stadtteil” eine typisch-ostfriesische Heimat schaffen. Mit dem Baugebiet will Emden Lebensqualität bieten und zugleich den Ansprüchen einer nachhaltigen Entwicklung gerecht werden (1).
Stolz verkündet die Stadt ihre Vision eines smarten Stadtteils: „Hier erleben Sie, wie wir in Ostfriesland Lösungen erarbeiten: ökologisch, nachhaltig und innovativ. Eine umweltbewusste Stromversorgung vom eigenen Dach sorgt sowohl für Wärme, als auch für die Energie des eigenen Fahrzeugs. Das alles ist vernetzt mit dem schnellsten Glasfaserinternet.“ (1).
Was auf den ersten Blick nach nachhaltiger Innovation klingt, hat am 27. Dezember 2021 den NABU-Dinosaurier des Jahres 2021 erhalten. Der „Ankerplatz“ stehe nicht für Nachhaltigkeit, sondern für rückwärtsgeplante Planung. Er symbolisiere den gefährlichen Flächenfraß in ganz Deutschland. (2)
Das Baugebiet zerstöre ein intaktes Feucht- und Nassgrünland, vertreibe den Wiesenpieper, die Feldlerche oder den Kiebitz, versiegele Fläche und soll einen Meter unter dem Meeresspiegel entstehen. „All das passiert in einem Jahr, das wie kein anderes für Aufbruch im Klima- und Naturschutz stehen sollte.“(2)
Dieser Flächenfraß sei nicht nur in Emden, sondern bundesweit ein Problem. Deshalb habe die NABU-Jury dieses Projekt ausgewählt, stellvertretend für die Naturzerstörung durch Bodenversiegelung in ganz Deutschland.
Der NABU verbindet damit die Forderung an die Bundesregierung, den Flächenverbrauch bis 2030 auf Netto-Null zu reduzieren. Der derzeitige „Klimaschutzplan“ peilt „Netto-Null“ erst für 2050 an.
Die Bundesregierung plant in den Ballungsgebieten den Neubau von 400.000 Wohnungen pro Jahr. Dem stehen - so der NABU - rund zwei Millionen leerstehende Wohnungen in ländlichen Regionen und eine durch den demografischen Wandel eher sinkende Bevölkerungszahl gegenüber. Dies verdeutliche „die hohe Komplexität bei der Flächenversiegelung, bei der soziale Aspekte, die Verfügbarkeit von Arbeit, aber auch Fragen von Infrastruktur und Verkehr zu berücksichtigen sind.“ (2)
Der NABU plädiert dafür, Flächen möglichst nachhaltig und effektiv zu nutzen. Bei der sogenannten Innenverdichtung könne geprüft werden, welche Flächen sich innerhalb eines Ortes noch für Bebauung, Aufstockung oder Umbau anbieten. Eine moderne Stadtplanung berücksichtige dabei ausreichend die unversiegelten Flächen, auf denen Wasser versickern oder schattenspendende Bepflanzung entstehen kann.
Mit dem „Dinosaurier des Jahres“, einer 2,6 Kilogramm schweren Nachbildung einer Riesenechse, zeichnet der NABU seit 1993 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus, die sich durch besonders rückschrittliches öffentliches Engagement in Sachen Natur- und Umweltschutz hervorgetan haben.
Seit 2020 werden nicht mehr Personen, sondern konkrete Projekte als Umweltsauerei des Jahres ausgezeichnet. Im TAZ-Interview betont NABU-Präsident Jörg Andreas Krüger, dass es sich nicht um einen „Blame- und- Shame-Preis“ handele. „Der Preis ist vielmehr Diskussionsanlass. Wir wollen mit dem Preis deutlich machen, was aus unserer Sicht falsch läuft. (3)“
Auch im niederrheinischen Grenzland wird immer noch „nachfragegerecht“ Bauland für das Einfamilienhaus am Ortsrand vermarktet. Dass damit drohenden kommunalen Schrumpfungsprozessen dauerhaft entgegengewirkt wird, ist empirisch nicht belegt.
Differenziertere Analysen zu möglichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Zukunft bleiben in der marktorientierten Stadtplanung meist ebenso „außen vor“ wie eine realistische Berechnung der Folgekosten.
„Dinosaurier 2020“ war die A26 Ost, die als Hafenpassage bezeichnete zehn Kilometer lange Hamburger Stadtautobahn. Sie soll rund 1,8 Milliarden Euro kosten und als Querverbindung zwischen A1 und A7 bis 2031 fertiggestellt werden. Hintergrund der Planung sind überzogene Wachstumsprognosen für den Hamburger Hafen. Für den NABU ist der Autobahnneubau nicht mit dem Klima- Moor- und Naturschutz vereinbar. Er fordert stattdessen „Zukunftsplan statt Autobahn“ (3)
Am 8. Dezember 2021 veröffentlichte der Hamburger Klimabeirat seine “Klimapolitischen Empfehlungen”. Darin fordert er den Senat auf, das laufende Planfeststellungsverfahren A26 Ost hinsichtlich seiner CO2-Schattenpreise und Lebenszykluskosten erneut zu überprüfen. (5)
Ganz wirkungslos ist der neu konzipierte NABU-Dinosaurier für die Umweltsauerei des Jahres offenbar nicht. Ist mit dem Dinosaurier des Jahres 2021 die Zukunft der - als ökologisch, nachhaltig und innovativ grün gewaschenen - Einfamilienhausneubaugebiete etwas unsicherer geworden?
Anmerkungen
1. Stadt Emden. Ankerplatz Emden. [Online] [abgerufen am: 28. Dezember 2021] https://www.ankerplatz-emden.de/
2. Naturschutzbund Deutschland. Flächenfraß und Bodenversiegelung. Baugebiet in Emden ist „Dinosaurier des Jahres“ 2021. [Online] 27. Dezember 2021.
https://www.nabu.de/news/2021/12/30933.html
3. “Wir brauchen freie Fläche”. Schöningh, Enno;. TAZ v. 28. Dezember 2021, S. 8
4. Naturschutzbund Hamburg. A26 Ost - Die Autobahn, die es nie geben darf! [Online] [abgerufen am: 28. Dezember 2021]
https://hamburg.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/stadtentwicklung/verkehr/a26ost/index.html
5. Klimabeirat Hamburg. Hamburg.de. Klimapolitische Empfehlungen an den Hamburger Senat 2021. [Online] 8. Dezember 2021. https://www.hamburg.de/contentblob/15595340/be2c9a3c73ce10aba3b9c837eb0bb680/data/d-klimabeirat-klimapolitische-empfehlung-1-2021-koalitionsvertrag-bundesregierung.pdf
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