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22.08.2025
Motivationspapiere aus Brüssel und Hannover: Sich lernend eine andere Welt erschließen
„Dort, wo sich etwas ereignet, wo Menschen Unbekanntes, Überraschendes, Verstörendes erfahren, wo sie von etwas ergriffen werden, vermag das Herkömmliche – zumindest für Momente – in einem neuen Licht zu erscheinen, vermag Neues und Anderes aufzublitzen. Es sind diese Unterbrechungen, in denen sich Möglichkeitssinn – der Gedanke, es könnte anders sein – einstellen kann. Mit solchen Störungen beginnt alle Transformation.“ (1)
Reale Erfahrungen in Echtsituationen sind nicht selten Ausgangspunkt für nachhaltige Lernprozesse. Sie ermöglichen es, eigene Horizonte zu überschreiten, und sich selbst durch Toleranz, Altruismus, kulturelle Sensibilität, Kommunikationsfähigkeit, Kompromissbereitschaft und Fähigkeit zur Selbstreflexion zu stärken.
Aus sehr unterschiedlichen Menschen und Institutionen kann mit der Zeit eine pluralistische, durch Handeln und Erzählen gegründete und zusammen gehaltene Gemeinschaft entstehen: ein ›Wir‹ des solidarischen Handelns – eine Gemeinschaft, die sich der herrschenden Kultur aktiv widersetzt, die als Sand im Getriebe, aber auch als konstruktive Kraft des sozialen und konkreten Aufbaus wirken kann.
Das sind die Grundgedanken des Motivationspapiers „Transformatives Community-Learning“. (1)
Das katholisch inspirierte Forschungsinstitut für Philosophie Hannover hat es verfasst, um Impulse für eine demokratische und aktive Stadtgesellschaft zu setzen. Direktor des Forschungsinstituts ist Prof. Dr. Jürgen Manemann, der zuletzt zum revolutionären Christentum und zur aktivistischen Umweltphilosophie veröffentlicht hat.
Transformatives Community-Learning verknüpft Elemente des Service-Learnings mit solchen des Community-Organizings. Es versteht sich als Grundlage für Demokratie als Lebensform, als beziehungsstiftende Praxis, als Empowerment-Methode und als Förderung von Verantwortungsübernahme.
Als Fallbeispiel des Transformativen Community-Learnings in der Stadtgesellschaft thematisiert das Papier ein Seminar, das obdachlose Menschen nicht als Rand, sondern als handelnde Subjekte begreift.
Wenn Irritationen, Krisen und Konflikte unsere bisherigen Denk- und Handlungsmuster, unsere Wertvorstellungen und Glaubenssätze infrage stellen, ist es an der Zeit, dass wir uns praktische Kompetenzen für andere Lebens- oder Handlungsentwürfe aneignen und sie zunächst im geschützten Rahmen ausprobieren.
Das ist seit den 1970er Jahren eine Erkenntnis im Rahmen der Theorie des transformativen Lernens von Erwachsenen. Sie hat im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wieder an Bedeutung gewonnen. (2)
In Zeiten der zahlreichen Krisen müssen erwachsene Menschen nicht nur in der Lage sein, auf die Herausforderungen zu reagieren, sondern auch sinnvolle Veränderungen in ihrem eigenen Leben, ihren Familien und Gemeinschaften herbeizuführen. Das hat im Jahr 2022 auch die „European Association für the education of Adults“ veranlasst, Ihre Rolle und ihre Werte zu hinterfragen und sich wieder mehr der persönlichen Transformation zu widmen.
Dabei hebt sie das Alterungslabor der Gemeinde Ílhavo, Portugal (3). die Gedenkstätte Kazerne Dossin in Mechelen, Belgien (4) und Zentrum für Bildung und Forschung Nahla in Sarajewo, Bosnien und Herzogowina als drei Beispiele hervor, an denen Transformatives Community learning erfolgreich praktiziert wird. (5)
Das im Juni 2024 veröffentlichte Manifest für Erwachsenenbildung im 21. Jahrhundert betont den Wert des transformativen Lernens. Es mache Menschen selbstbewusster und selbstwirksamer bei der Gestaltung persönlicher und sozialer Veränderungen. (6) Die innere Veränderung beginnt beim Einzelnen.
Das Motivationspapier aus Hannover beginnt sein Konzept des transformativen Community learnings mit zwei Fragen: In welcher Stadtgesellschaft leben wir? In welcher Stadtgesellschaft wollen wir leben?
Kommunen und Nachbarschaften leben im Idealfall von Beziehungsnetzen, die unabhängig von Bildung, Einkommen oder Status funktionieren. In ihnen sind gesellschaftliche Probleme wahrnehmbar und veränderbar. Dort können die Menschen Konflikte austragen und Kompromisse entwickeln und im Kleinen erleben, wie Transformation (nicht) funktioniert. Sie sind das soziale Kapital und der Resonanzraum für Veränderungen, denn Transformation entsteht nicht durch Verordnung von oben, sondern durch Ausstrahlung von unten…
Dazu sind etliche Stolpersteine abzuräumen, denn häufig leben Menschen aus unterschiedlichen Milieus, Kulturen oder Einkommenslagen nebeneinander, aber nicht miteinander. Ihre Begegnungen sind von Angst, Konkurrenz und Machtungleichgewichten geprägt. Es fehlen Zeit, Begegnungsräume und Konfliktkulturen.
Veränderung ist immer. Transformation ist eine Möglichkeit, sich eine andere Welt zu erschließen. Sie beginnt damit, physische Begegnungsräume vor Ort zu sichern, Lernen als Prinzip zu verankern, Pluralität als Stärke wahrzunehmen und Konflikte nicht zu verdrängen, sondern sie anzusprechen.
Das könnte ein Thema im NRW-Kommunalwahlkampf 2025 sein…
Verweise
1. Forschungsinstitut für Philosophie Hannover. Transformatives Community learning. [Online] 18. August 2025. https://fiph.de/institut/Transformatives_Community_Learning.pdf
2. Mandy Singer-Brodowski. Transformatives Lernen als neue Theorie-Perspektive in der BNE. Jahrbuch für Umweltbildung . [Online] April 2016. https://www.researchgate.net/profile/Mandy-Singer-Brodowski/publication/303999776_Transformatives_Lernen_als_neue_Theorie-Perspektive_in_der_BNE/links/579713e308aed51475e5a150/Transformatives-Lernen-als-neue-Theorie-Perspektive-in-der-BNE.pdf
3. European Association for the Education of Adults. Aging Laboratory: increasing knowledge about the process of aging. [Online] 29. August 2022. https://eaea.org/2022/08/29/aging-laboratory-increasing-knowledge-about-the-process-of-aging/
4. Kazerne Dossin. [Online] https://kazernedossin.eu/en/
5. European Association for the Education of Adults (EAEA). Transformative learning and values. Background paper on EAEA’s annual theme 2022. [Online] Dezember 2022. https://eaea.org/wp-content/uploads/2022/12/EAEA-Background-paper_Transformative-Learning-and-Values-2022.pdf?
6. European Association for the Education of Adults - EAEA. The Power and Joy of Learning. Manifesto for Adult Learning in the 21st Century. [Online] Juni 2024. https://eaea.org/wp-content/uploads/2024/07/EAEA_Manifesto_Digital_compressed-1.pdf
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