niederrheinisch - nachhaltig 

Freitag, 7. September 2018

 "Standortwettbewerb" oder "nachhaltige Entwicklung"? 

© Kurt Michel  / pixelio.de

Die Handwerks-, Industrie- und Handelskammern der Planungsregion Düsseldorf  laden derzeit zum Auftakt einer Dialogrunde zum regionalen Gewerbe- und Industrieflächenkonzept ein. Begründung: „Die langfristige Ausgestaltung mit marktfähigen Gewerbe- und Industrieflächen ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Kommunen in der Planungsregion. Angesprochen sind kommunale und regionale Planer und Wirtschaftsförderer. Vergessen haben die Wirtschaftskammern offenbar die kommunalen Umweltbeauftragten, Klimaschutzmanager oder Agenda-Büros. Denn sie spielen im angeblichen  Standortwettbewerb der Kommunen und Regionen eine entscheidende Rolle.

Wettbewerb, Marktversagen und Fluchtursachen

Ökonomischer Wettbewerb zwischen Städten und Regionen macht zwar gesellschaftspolitisch wenig Sinn,  ist aber keine neue Erscheinung.  Zwischen Gebietskörperschaften gab und gibt es eine mehr oder weniger ausgeprägte Rivalität  um Ressourcen aller Art. Und das betrifft Kontinente, Nationen, Regionen und Kommunen.   "Imperialistische Geopolitik" gibt es auch im kleinen. Es geht global und regional um Grundstücke,  Rohstoffe, Unternehmensansiedlungen, Fördermittel, Arbeitskräfte oder zahlungskräftige Einwohner  - also Faktoren, die  Wohlstand durch ökonomisches Wachstum generieren sollen.  "Die Wirtschaft" globalisiert  Güter- und Finanzmärkte und digitalisiert Kommunikation und Wissensproduktion. "Die Wirtschaft" erhöht den Druck auf politische Entscheidungsträger,  betriebswirtschaftliches Handeln zu erleichtern.  Wenn  „die Wirtschaft“ nach "dem Staat" ruft und bessere Bildung, Handelsabkommen oder mehr Straßen- Breitband-  und Schienenverbindungen fordert,  geht es darum, eigene Investitionen zu senken und  Transaktions- und Transportkosten abzubauen. 

Wettbewerb braucht Verlierer und Gewinner. Im globalen und im regionalen Standortwettbewerb bleibt daher das  politische Verfassungsziel,  gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen herzustellen, auf der Strecke. Das ist eine wesentliche Fluchtursache. Geflohen wird global und regional, ja sogar lokal. Niederrheinische Leerstände, afrikanische Bürgerkriege und ostdeutsche Landflucht haben vieles gemeinsam.  Menschen fliehen vor Infrastrukturproblemen und erzeugen  dadurch neue Infrastrukturprobleme, auf die "der Markt" keine Antworten gibt. Vergangenes nicht-nachhaltige Handeln nach der platten Formel "Privat vor Staat" sorgt heute für gesellschaftliche und ökologische Verwerfungen und wirtschaftliche Standortnachteile.

Saubere Atemluft, gesundes Trinkwasser, Erderhitzungsvorsorge, inklusives Gesellschaftsleben oder fruchtbare Böden verhindern Flucht.  Zentraler politischer Akteur für den Niederrhein zu dieser Fluchtursachenbekämpfung ist die Europäische Union. Das komplexe und von Wirtschaftslobbyisten durchtränkte europäische Entscheidungssystem setzt  dem europäischen Binnenmarkt  - mehr schlecht als recht - ökologische und soziale Leitplanken. Der Bau der Leitplanken, also die gesetzliche Umsetzung der europäischen Richtlinien obliegt den nationalen, regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften. Dabei wirken große und kleine Wirtschaftslobbyisten entscheidend mit. Und das gilt für alle Verwaltungsebenen -  für Bundesgesetze so wie  für kommunale Bebauungspläne. Fatal an diesem System ist der an ökonomischen Mainstream- Glaubenssätzen orientierte Tunnelblick, den entscheidende, an universitären Wirtschaftsfakultäten  sozialisierte Akteure an den Tag legen können. Sie ignorieren ökologische Anregungen und gesellschaftliche Bedenken oder buchen sie vorschnell als Wirtschafts- und Wachstumshemmnis ab.  Gesellschaftliche und ökologische Verantwortungslosigkeit "der Wirtschaft" führt dazu, dass inzwischen Verwaltungsgerichte oder  EU-Vertragsverletzungsverfahren entscheidend für unsere Atemluft werden, sich Besitzer von Dieselautos vom System hintergangen fühlen, die Klimapolitik nicht voran kommt oder Wasserwerke im niederrheinischen Grenzland um die langfristige Trinkwasserversorgung fürchten müssen.

Nachhaltigkeitsblasen müssen platzen  

© Michael Ottersbach -pixelio.de

Grundlage des menschlichen Wirtschaftens sind funktionierende Ökosysteme und sozialer Frieden. Flucht, Hitze, Hambacher Forst oder Chemnitz stehen ebenso als Signale für deren Gefährdung wie das jüngste WBGU-Gutachten zum Zeit- und Sozialdruck in der Klimapolitik.  Es geht um Würde und Wohlergehen von Milliarden Menschen.  Es geht um das Überleben dieses Planeten. Ohne politischen und ökonomischen Rückenwind können kommunale und regionale Nachhaltigkeitsakteure, regionale Landwirtschaftsrunden oder der  Klimadiskurs NRW den immensen Herausforderungen einer nachhaltigen regionalen Entwicklung nicht gerecht werden. Ein politisches und ökonomisches "Weiter So"  - ergänzt durch diskursive Nachhaltigkeitsblasen -   macht gesellschaftlich wenig  Sinn. Die Blasen müssen platzen und deren komplexer Geist zum Leitstern  für alle planerischen und wirtschaftlichen Entscheidungen werden.  Zugegeben: das  ist für ein regionales Gewerbekonzept  der Planungsregion Düsseldorf  eine sehr sportliche Herausforderung. Sie anzunehmen ist aber für unsere regionale und kommunale Zukunft mindestens so wichtig und dringlich wie das Ausmalen von Landkarten mit  Gewerbeflächen.  

Dienstag, 19. Dezember 2017

RPD  -  Mehr graue  weniger  grüne Infrastruktur 

Quelle: RPD

Gegen die Stimmen der Grünen und Linken verabschiedete der Düsseldorfer Regionalrat am 14. Dezember 2017 im Grevenbroicher Kreishaus den rund 7.800 Seiten umfassenden Regionalplan Düsseldorf (RPD). Politischer Punktsieger am Ende eines  aufwändigen,  vom Anspruch her dialogorientierten und weitgehend konstruktiven Verfahrens ist eine Wirtschaftsförderung mit rückwärts gewandten Entwicklungskonzepten der 1990er - Jahre.  

Den Flächenanspruch reduzieren, Klimaschutz und Klimaanpassung mitdenken, die Energie-wende unterstützen, Bau- und Gewerbegebiete vorrangig an Schienenverbindungen entwickeln, landwirtschaftliche Nutzflächen erhalten, einen kommunikativen Zugang zu Kulturlandschaften ermöglichen… Im Januar 2012 klang der Leitlinienentwurf zur Regionalplanfortschreibung noch vielversprechend und herausfordernd. Der  erste von der Regionalplanungsbehörde erarbeitete Entwurf zum RPD machte  einen durchaus modernen und innovativen Eindruck.  Er enthielt brauchbare  Ansätze zum sparsamen Flächenverbrauch und berücksichtigte Konzepte  der europäischen Biodiversitätsstrategie. Aber es war eine politische Fehleinschätzung, diesen Entwurf im Laufe des Verfahrens weiter "begrünen" zu können…

Denn sechs Jahre später heißt es im Regionalplan unter dem Stichwort „Nachhaltige Wirtschaft“: „Der Regionalplan bietet genügend Flächenreserven für die Wirtschafts-entwicklung in allen Branchen.“  Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein,  jubelt: „Das Ergebnis kann sich sehen lassen. […]. Etliche Wünsche der Wirtschaft, beispielsweise ein Umgebungsschutz für Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereiche oder die Darstellung großräumiger Ansiedlungsbereiche für Industrie und Logistik, haben [..] Einzug in den Regionalplan gehalten." Für den Kreis Viersen hält der RPD 597 Hektar gewerbliche Reserveflächen vor, für den Rhein-Kreis Neuss sind es 545 Hektar, für Krefeld 233 Hektar und für Mönchengladbach 218 Hektar. 

Nachhaltiges Wirtschaften besteht am Mittleren Niederrhein offenbar  immer noch aus den Konzepten der Flächeneroberung,  der Ansiedlungsförderung und eines Standortmarketings aus dem  letzten Jahrhundert. „Green economy“, "reduktive Moderne", Wachstumsdruck, Enkelfestigkeit, soziale und ökologische Verantwortung oder die Integration des Umweltschutzes spielen in der regionalen Wirtschaftspolitik noch keine maßgebliche Rolle. Die europäische Diskussion um die Bedeutung der grünen Infrastruktur und des Klimaschutzes für zukunftsfähiges Wirtschaften scheint bisher an der IHK und an vielen Kommunen nahezu unbemerkt vorbeigezogen zu sein. Ihr Hunger nach neuen Siedlungs- und Gewerbeflächen ist weitgehend ungebrochen.  Die  vom angeblichen Wettbewerb der Standorte  geprägte Wirtschaftsförderergleichung: Mehr Fläche  = mehr Arbeitsplätze = mehr Zuzug  = mehr Wohlstand“ verliert an Glaubwürdigkeit, wenn Kommunen ihre Gewerbeflächen wie Sauerbier anbieten müssen.  Trotz gut erschlossener freier Gewerbeflächen konnte  zum Beispiel die Viersener  Kreis-Wirtschaftsförderung in den  Jahren 2015 und 2016 lediglich einen neuen Investor in den Kreis Viersen locken. Gewerbegrundstücksgeschäfte bestehen meist aus Verlagerungen innerhalb des Kreises Viersen.

Bei nahezu allen Änderungen, die im Laufe des Aufstellungsverfahrens zum Regionalplan eingebaut wurden, ging es der IHK  und der politischen Mehrheit im Regionalrat darum, sog. „ökologische Restriktionen“ abzubauen, um den Kommunen und der Wirtschaft „mehr Spielraum für Entwicklung “ zu geben. Besonders fatal: Die meisten dieser Änderungen wurden im zeitlich ambitionierten - und durch das Ergebnis der  Landtagswahl und die damit verbundenen Diskussionen um den Landesentwicklungsplan -  nochmals beschleunigten - Schlussspurt zur dritten RPD-Auslage  eingebaut. Am dazugehörigen Erörterungstermin konnte das Landesbüro Naturschutz NRW nicht mehr teilnehmen. Da nur ein Arbeitstag zwischen Vorlage der Änderungs- und Ausgleichsvorschläge und dem Erörterungstermin lag, war ein sachgerechter Meinungsausgleich zwischen ökologischen und ökonomischen Argumenten unmöglich. Die vorwiegend ehrenamtlich und nebenberuflich arbeitenden Naturschützer und Naturschützerinnen fühlten sich in der Schlussphase der RPD-Aufstellung brüskiert. Es ist aber eher ihnen zu verdanken, wenn ökologische Grundsätze des Raumordnungsgesetzes oder Transformationsanregungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung "Globale Umweltveränderungen" auch bei regionaler Flächenplanung berücksichtigt werden. Von Wirtschaft und Kommunen sind derartige Anregungen im Rahmen der  kommunalen Selbstverwaltung und des Gegenstromprinzips derzeit kaum zu erwarten. Der rund 360.000 Hektar und 49 Kommunen umfassende Planungsraum rund um Düsseldorf ist vom Weg zu einer klimaangepassten, regenerativen Region noch weit entfernt. Auch dieses  Verfahren zeigt:  „Nachhaltige Entwicklung“ ist ein äußerst flexibler Gummibegriff.

Nachhaltige Entwicklung?  

Ursprünglich vorgesehene klimaökologische oder flächensparende  Vorgaben für Bauleit-pläne  wurden im Rahmen des RPD-Aufstellungsverfahrens ebenso gestrichen wie Abstandserfordernisse zwischen Industrie- und Wohngebieten oder die  Vorgaben für die bauliche Nutzung von Konversionsarealen und  die Pflicht zur kommunalen Zusammenarbeit bei regional bedeutsamen Brachflächen.  

Der schon im ersten Entwurf durch großzügige Wachstumsfortschreibung hoch angesetzte  kommunale Bedarf für Wirtschaftsflächen stieg im Laufe des Verfahrens  an. Weitere  Standorte für hafenaffines Gewerbe und flächenintensive industrielle Vorhaben wurden "reinverhandelt".

Aufgeweicht bzw. ganz gestrichen wurden hingegen Regelungen zur  Waldvermehrung, zur Schutzwürdigkeit der Böden und der Flussufer, zum Schutz des landesweiten Biotopverbundes,  der Regionalen Grünzüge oder der sog. Freiraumbänder. Aus der ur-sprünglich vorgesehen "Stärkung und Entwicklung" der Biotopvernetzung  wurde eine "Berücksichtigung" im Rahmen der Bauleitplanung. Aus dem Verbot für Gewächs-hausanlagen in Waldbereichen, Natur- und Wasserschutzgebieten wurde eine Empfehlung, sie möglichst nicht in Wasserschutzgebieten vorzusehen.  Die ursprünglich beschriebene frühzeitige Einbeziehung der Regionalplanungsbehörde bei der Planung großer Gewächshausanlagen entfiel ganz.

Neu eingefügt wurde der Grundsatz, dass bei  naturschutzfachlichen Entwicklungsmaß-nahmen Bestand und Entwicklungsmöglichkeiten von Gewerbe- und Industriegebieten nicht beeinträchtigt werden sollen.  

Kranenbach und Lüttelforst

In diesem Sinne lehnte die Mehrheit auch die von den Regionalratsgrünen beantragte Rücknahme der Streichung eines kleinen Naturschutzgebiets in der nördlichen Kranenbachaue in Schwalmtal - Amern ab, obwohl das Wassernetz NRW noch im Sommer 2017 einen „Handlungsbedarf am Kranenbach“ festgestellt hatte, um die Vorgaben der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie erfüllen zu können.  Die Streichung  ging offenbar zwischen der zweiten und dritten Auslage  von der Gemeinde Schwalmtal aus. Sie befürchtet wohl,  dass ein extensiver Schutz der Kranenbachaue die von der Tacken GbR geplante Erweiterung des Kranenbachcenters  einschränken oder gar gefährden könnte. Dabei  geht es um zusätzliche 1.600 Quadratmeter Verkaufsfläche durch  Vergrößerung eines Norma-Discounters und die Ansiedlung eines Drogeriefachmarkts und eines Action-Sonderpostenmarkts.  

Abgelehnt wurde auch der Antrag,  den RPD an den Landesentwicklungsplan anzupassen und das Waldhufendorf Lüttelforst als landesbedeutsamen Kulturlandschaftsbereich in die entsprechende Beikarte des RPD einzutragen. Damit wäre der RPD der Aufforderung des Landesentwicklungsplans nachgekommen, Lüttelforst durch textliche und zeichnerische Darstellung als Element eines landesbedeutsamen Kulturlandschaftsbereichs zu sichern und weiterzuentwickeln.  Dies hätte der örtlichen Bürgerstiftung ihre Aktivitäten zur Gestaltung der Kulturlandschaft und des kulturellen Lebens im Dorf erleichtert. Doch zunächst hieß es aus der Regionalplanungsbehörde, dass dazu eine Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft Historische Stadt- und Ortskerne in Nordrhein-Westfalen erforderlich sei. Dann wurde haarspalterisch argumentiert, Lüttelforst werde ja im Landesentwicklungsplan nur als ein Element des landesbedeutsamen Kulturlandschaftsbereichs "Mittlere Niers" aufgeführt und könne daher nicht eigenständig unter Schutz gestellt werden. Wahrscheinlich ging es jedoch nur darum,  die Nutzung bestehender Lüttelforster Kies- und Ton-Sondierungsflächen nicht  durch irgendwelche anderen Kennzeichnungen  einzuschränken. Die Schwalmtaler Sanders Tiefbau GmbH hatte sich die Flächen  im Jahre 2008  im Rahmen der 51. GEP-Änderung mit politischer Unterstützung der Schwalmtaler CDU und FDP gesichert.  Im Jahre 2016 verkaufte der Kirchenvorstand St. Matthias ein Kirchengrundstück des betroffenen Areals zum weiteren Kiesabbau an die Firma und vergiftete damit das „Lüttelforster Klima“. Denn auch die Lüttelforster Bürgerstiftung hatte ein Kaufangebot abgegeben, um den Kiesabbau zu verhindern. Seitdem eskaliert ein eher unappetitlich geführter Streit zwischen beteiligten und interessierten Schwalmtaler Bürgerinnen und Bürgern. 

Wirtschaft entfesseln – auch gegen Kommunen und Trinkwasserschutz?

Hanebüchen wurde der Zeitdruck  bei der Abstimmung zum grünen Antrag, die Gewerbe- und Wohngebietsfläche „Buschfeld“ im Solinger Ittertal aus dem RPD  herauszunehmen. Obwohl eigentlich eine Regionalratsmehrheit und ein Gutachten das Anliegen unterstützt, und der Solinger Stadtrat sich gegen dieses Gewerbegebiet ausspricht, wurde der Antrag in geheimer Abstimmung mehrheitlich abgelehnt. Grund war wohl die nicht nachprüfbare Behauptung der Bezirksregierung, die Herausnahme  sei eine wesentliche Änderung, die ein viertes Auslageverfahren und damit erhebliche Zeitverzögerungen nach sich ziehen würde. Und das wollten CDU und FDP verhindern. „Falsches Spiel der Solinger CDU- und FDP-Regionalratsvertreter", kommentierte postwendend die Solinger SPD.  In Ihrer Entgegnung verdeutlichten  die Betroffenen ihren altmodisch-expansiven  Entwicklungsbegriff. Er besteht immer noch aus mehr Autobahnanbindungen und Wohn- und Gewerbegebieten. Und deren zügige Umsetzung darf durch die Grünzüge und den Biotopverbund  im Ittertal offenbar nicht gefährdet werden.  

Auch der Trinkwasserschutz muss wohl hinten anstehen, wenn es um eine vermeintlich notwendige  Gewerbeentwicklung geht. Zur dritten Auslage setzten CDU/FDP im Regionalrat den Eintrag eines „vor Ort“ umstrittenen  16 Hektar umfassenden Gewerbegebiets am Stadtrand von  Langenfeld durch. Es würde bei seiner Realisierung nicht nur Grünzüge zerstören, sondern liegt im Wasserschutzgebiet Langenfeld-Monheim (Grundwasserschutzzone IIIa). In einer solchen Zone sind Gewerbebetriebe eher Ausnahme als Regel. Oft genießen sie Bestandsschutz, weil sie schon vor der Ausweisung als Wasserschutzzone da waren. Aber im RPD  ein Gewerbegebiet bewusst in eine Wasserschutzzone hineinzuplanen, ist ein Tabubruch. 

Wie Politik die Verwaltung ausbremst  

Für die grüne Regionalratsfraktion stand zu Beginn des Verfahrens fest: Der RPD Düsseldorf bietet durchaus eine Chance für eine konstruktive regionale Nachhaltigkeitstransformation. Ideen und Konzepte erarbeiteten die Grünen bei Ortsterminen, Klausuren und in Hintergrundgesprächen. Doch spätestens im Jahre 2017 ging es in den politischen Regionalratsgremien vorrangig  darum, beim RPD mit Mehrheitsentscheidungen altmodische Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Es schmerzte mitzuerleben, wie „die Politik“ zukunftsträchtige  Vorschläge und Ideen des jungen Teams der Regionalplanungsbehörde  „ausbremste“.  Beim Abstimmungsmarathon der letzten interfraktionellen Klausur zum RPD konnte der grüne Fraktionsvorsitzende Manfred Krause die Beschlusslage nur noch mit „Bedauern zur Kenntnis“ nehmen.  

Sein Fazit: „Im Laufe des rund  siebenjährigen Planungsprozesses haben sich CDU, SPD und FDP vom Leitbild einer nachhaltigen Raum- und Siedlungsentwicklung immer weiter entfernt. Diesen Plan, der die räumliche Entwicklung unserer Region für die nächsten 15 bis 20 Jahre vorgibt, konnten  wir am Ende nicht mittragen“. Bis zum Ende des Auf-stellungsprozesses hatte die Grünen-Fraktion versucht, dem Freiraumschutz mehr Gewicht zu verleihen und neuen Flächenausweisungen „auf der grünen Wiese“ entgegenzuwirken. Als besonders kritisch bewerten die Grünen die Ausweisung neuer großflächiger Gewerbegebiete im Raum Krefeld / Meerbusch an der A 44, Mönchengladbach / Viersen (GIB Mackenstein), in Solingen (Buschfeld) und Langenfeld (Knipprather Straße) sowie die Ausweisung des Standortes „Kleine Höhe“ in Wuppertal für die geplante Maßregelvollzugsanstalt. Zudem wurden die ursprünglichen Vorgaben zur Erhaltung zusammenhängender Freiraumbänder sowie zum Ausschluss des Fracking gegen den Widerstand der Grünen-Fraktion ersatzlos gestrichen. Damit werde der Plan einer „vorausschauenden Planung, der auch nachfolgenden Generationen Entwicklungsspielräume eröffnet, kaum noch gerecht“, so Krause.

Nach dem Plan ist vor der Änderung

Keine Kontroversen entstanden im Jahre 2017 zu der zuvor sehr umstrittenen Ausweitung von Wohngebieten. Hier gibt es überparteilichen Konsens, das Kapitel 3 des RPD zur Siedlungsentwicklung 2018 in einem  ersten Änderungsverfahren zu überarbeiten. Die ursprünglich zu Grunde liegenden Bevölkerungsprognosen sind durch Steigerungen der Geburtenraten und  der Zahl der Geflüchteten obsolet geworden. Ob durch neue Prognosen der ursprünglich angesetzte Bedarf von 108.250 Wohneinheiten  und Reserveflächen für 113.500 Wohneinheiten „viel zu niedrig“  angesetzt ist wie einige behaupten, bleibt abzuwarten.

Ähnliches gilt auch für das Kapitel „Oberflächennahe Bodenschätze“. Bauprognosen und der mögliche Wegfall einer Kiesabbaufläche in Kaarst zugunsten eines Konverterstandorts im Rahmen des Ultranet-Stromübertragungsnetzes könnten ein weiteres Änderungsverfahren erzwingen. Auch bei den Windvorrangzonen könnte die schwarz-gelbe Landespolitik noch eine RPD-Änderung hervorrufen.

Am 18. Juni 1998 wurde der RPD-Vorgänger  GEP 99 verabschiedet. Er trat am 15. Dezember 1999 in Kraft und hat bisher 88 Änderungsverfahren hinter sich. Zuletzt ging es um ein zusätzliches interkommunales Gewerbegebiet Goch/Weeze für Logistikbetriebe.   

Das Verfahren davor war richtungsweisend. Im  87. GEP-Änderungsverfahren ging es um einen von Wirtschaftsförderern im Kreis Viersen projektierten Ferienpark im Brachter Wald.  Von 300.000 Gästen und 150 Arbeitsplätzen war die Rede. Bis auf die Grünen sprachen sich seinerzeit alle Parteien für das Projekt aus. Ein ernst zu nehmender Investor fand sich allerdings nicht und dann wurde die für den Ferienpark vorgesehene Fläche in ein Naturschutz-gebiet umgewandelt. Auslöser war jedoch nicht die politische Einsicht "vor Ort", sondern die EU-Kommission. Sie hatte dem Kreis Viersen mit einem  EU-Vertragsverletzungsverfahren im Rahmen der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie gedroht. Auch das Gebiet des Elmpter Flugplatzes befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft  zu einem europäisch bedeutsamen deutsch-nieder-ländischen Biotopverbundkorridor. Wie sagte schon Altkanzler Helmut Kohl: “Europa ist unsere Zukunft. Europa ist unser Schicksal“….


Donnerstag, 27. Juli 2017 

Regionalplan in der dritten Auslage: "Wachstumsfreundlich entfesselt?“  

Der Düsseldorfer Regionalrat verabschiedete sie mehrheitlich am 6. Juli. Die Bezirksregierung veröffentlichte sie am 20. Juli als Sonderbeilage zum Amtsblatt 29. Sie startet am 4. August und endet am 4. Oktober… Es geht um die dritte Beteiligungsrunde zum Düsseldorfer Regionalplan (RPD). Die Unterlagen dazu finden Sie hier.

Bei nahezu allen RPD-Akteuren ist der Wunsch zu spüren, den Plan zum Ende des Jahres zu verabschieden. Nach dem Zeitplan 2010 sollte er zum Januar 2015 rechtskräftig werden. Jetzt hat die neue CDU/FDP Landesregierung auf Seite 33 ihres Koalitionsvertrags angekündigt, im Rahmen eines „Entfesselungsgesetzes“ den Landesentwicklungsplan „wachstumsfreundlicher“ zu gestalten, die Verpflichtung zur Ausweisung von Windvorrangzonen aufzuheben (S. 42), nicht mehr zwischen regional- und landesbedeutsamen Flughäfen und Häfen zu unterscheiden, NRW als führenden Logistikstandort zu stärken (S. 51) und „unnötige Hemmnisse“ zur Baulandausweisung zu entfernen. Sobald diese politischen Ankündigungen rechtskräftig sind, müssten auch sie im laufenden RPD-Verfahren berücksichtigt werden. Sie würden wohl eine aufwändige Neubearbeitung mit weiteren öffentlichen Beteiligungsrunden auslösen und den Zeitplan vollkommen aus den Fugen geraten lassen.

Unternehmen entwickeln – Chemparks schützen

Doch spätestens seit dem nordrhein-westfälischen Regierungswechsel ist es der regionalen Wirtschaftslobby in vielen Konfliktfällen bereits jetzt gelungen, die viel beschworenen Entwicklungsmöglichkeiten der Unternehmen oder die wirtschaftliche Nutzbarkeit des Wassers und der Bodenschätze sicherzustellen und viele Hektar zusätzlichen Bodens zur gewerblichen Flächenvermarktung im Standortwettbewerb der Kommunen zu horten. Die IHK ist sich immer noch sicher: Der internationale Warenverkehr wird massiv wachsen. Das Rheinland liegt mitten im steigenden globalen Transitverkehr. Es muss daher den Transit zur Wertschöpfung unterbrechen und Logistikregion werden. Der Regionalplan muss dafür regulative Hemmnisse durch Naturräume abbauen, Flug-und Binnenhäfen erweitern und zusätzliche Straßen- und Schienenverbindungen ermöglichen. Klimaschutz spielt dabei keine Rolle, denn die Begrenzung von Treibhausgasen hat ohnehin keinen räumlichen Bezug und daher mit dem RPD nichts zu tun.

Die nun vorliegende dritte Version hat sich mittlerweile so weit von den im Juni 2012 verabschiedeten Leitlinien entfernt, dass Grüne und Linke im Regionalrat der öffentlichen Auslegung nicht mehr zustimmten. Klimaschutz, Biodiversität und Klimafolgenanpassung spielen auch in der dritten Auslegung eine viel zu geringe Rolle. Nachhaltigkeit bei der Regionalplanung bedeutet vielfältig gegeneinander abzuwägende Interessen zur optimalen Übereinstimmung zu bringen. Angesichts der Erdüberlastung bedeutet das auch menschliche Aktivitäten zu begrenzen, und den Freiraum zu schützen. Doch die „raschen und ambitionierten Maßnahmen zum Schutz des Klimas und zur Anpassung an den Klimawandel“, die die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2016 als „unerlässlich“ und „größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts“ umschreibt, spielen beim RPD Düsseldorf mittlerweile eine untergeordnete Rolle.

Wer Nachhaltigkeit vorrangig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, rühmt verkleinerte Grünzüge und vergrößerte Gewerbeflächen als „Erweiterung der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten und kommunalen Handlungsspielräume“. Doch öffentliche und demokratisch legitimierte Raumplanung besteht nicht nur darin, öffentlichen Boden für private Investoren aufzuwerten und Grundstücksspekulationen zu ermöglichen. Ja, die umstrittenen RPD-Eintragungen sind noch keine Gewerbegebiete, aber sie schaffen Optionen und Begehrlichkeiten. 

Überschwappeffekte

Weil die Stadt Düsseldorf „überschwappt“, hatte sie zu Beginn des RPD-Verfahrens KOGERE in Leben gerufen, ein informeller Kooperationsverbund für eine gemeinsame Raumentwicklung mit den Kommunen rund um Düsseldorf. Außenstehende wunderten sich, welche Kommunen sich in Erwartung neuer Pendler plötzlich als Düsseldorfer Nachbarn empfanden. Wachsende Leerstände und stagnierende oder sinkende Bevölkerungszahlen lösten in der gesamten Region den kommunalen Ruf nach mehr Wohn-, Gewerbeflächen aus. In allzu vielen Fällen folgt der RPD diesem Ruf und ermöglicht den Kommunen im Namen von „Entwicklung“ kostenträchtige Infrastrukturen, deren Auslastung immer fraglicher wird. Denn dass „mehr Siedlungs- und Gewerbefläche“ automatisch zu „mehr Wachstum“ führt, gehört eher ins Reich der Ideologie als der Empirie. Nachhaltige Flächennutzung ist komplizierter als ein Tunnelblick auf quantitative Wachstumsmöglichkeiten suggeriert. „Wer in einer begrenzten Welt an unbegrenztes Wachstum glaubt, ist entweder ein Idiot oder Ökonom.“ (Kenneth Boulding).

Ideologische Hemmnisse und work-life-balance

Regionalplanung berücksichtigt die vielfältigen sektorübergreifenden Beziehungen zwischen Metropolen, Kleinstädten und dem ländlichen Raum in all ihren sozio-kulturellen, ökonomischen, und ökologischen Funktionen. Zu einer wirklichen Entfesselung der nordrhein-westfälischen Planungspolitik würde es auch passen, sich von den ideologischen Hemmnissen der neoklassischen Wirtschaftstheorie zu befreien. Deren Denkfehler hat die Wirtschaftsredakteurin Ulrike Hermann in ihren Büchern und in der TAZ beschrieben. „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“ forderte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2014. Doch den Glauben an den freien Lauf der Marktprozesse hatten die Steuerzahler schon sechs Jahre zuvor beim Billionen-Crash verloren - zumindest für’s Finanz- und Immobilienwesen. Jetzt sorgt die deutsche Autoindustrie für ein Ende der Erzählung über die segensreiche Wirkung von Wettbewerb und Konkurrenz. Wenn sich demnächst auch Kommunal- und Regionalpolitiker von den Mythen des interkommunalen Wettbewerbs um junge Familien und neue und erweiterte Gewerbestandorte verabschieden, könnten sie Standortfaktoren und das Stadt-Land-Verhältnis neu bewerten. Das Leitbild der autogerechten Stadt hatte schließlich auch nur eine beschränkte Laufzeit. Gegenwartspläne treffen selten in der Zukunft ein.

Zukunftsstandorte und Luftschlösser

Welche Zukunft haben die gegenwärtigen an den Stadtrand gedrängten und austauschbaren Gewerbe- und Logistikgebiete, um die IHK-Vertreter heute so vehement streiten? Wieviel Arbeitsplätze und Steuereinnahmen generieren sie? Wie sinnvoll sind eigentlich die räumlichen Funktionstrennungen zwischen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Lernen und Erholen? Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Architektur, sozialer Zusammenhalt, Stadtkultur, Umwelt- und Freiraumqualität,  Zugang zu ÖPNV, preiswertem Wohnraum, sauberer Luft und Stille? Gesundes Leben und work-life-balance gehören wohl ebenso zur Raumplanung wie globale Nachhaltigkeit, lokale Gewerbeentwicklung und Biotopverbund. Machen aber noch mehr Dimensionen und Funktionen die klassische zweidimensionale Raumplanung obsolet? Oder fehlt es nur an neuen multifunktionalen Planzeichen und den entsprechenden planerischen Universalpolitikern? „Menschen machen Pläne, Gott lacht und am Ende bleibt eben doch alles anders.“ Auch der RPD Düsseldorf wird nicht statisch bleiben. Flächen, die heute als regionaler Wertschöpfungsmotor angepriesen werden, liegen morgen brach oder beherbergen leere Gebäude. Die Logistik-Prognosen verlängern gegenwärtige Trends. Doch eine Trendwende ist nicht unwahrscheinlich. Denn die Mobilitätsdiskussionen rund um das „Ende des Verbrennungsmotors“ fangen gerade erst an. Eine belastbare Ökobilanz für Elektrofahrzeuge steht noch aus.   

Der RPD-Vorgänger „GEP 99“ steckt übrigens gerade im 88. Änderungsverfahren. Es geht um Umwandlung von Ackerfläche für den interkommunalen Gewerbepark Weeze-Goch. Er wird GeWeGO genannt und soll flächenintensive Logistikbetriebe in den Kreis Kleve locken. Der seit fünf Jahren voll erschlossene Gewerbepark VeNeTe mit dem eigenen Autobahnanschluss erhält angeblich bald einen neuen Namen. Der „Zukunftsstandort“ entwickelt sich zum „Luftschloss“. VeNeTe gilt mittlerweile als Vermarktungsflop. 


Mittwoch, 21. Juni 2017

 "Qualität statt Quadratmeter" – Über das Landleben am Niederrhein

Immobilienfinanzierer und Raumplanerinnen warnen schon seit Jahren hinter vorgehaltener Hand vor einer ländlichen Immobilienblase. Jetzt bestätigt auch das Institut der Deutschen Wirtschaft IW-Kurzbericht Nr. 44.2017: Im ländlichen Raum wurden zwischen 2011 und 2015 zu viele neue Einfamilienhäuser gebaut. Sie werden an Wert verlieren, weil sie die Wohnungen, die in den Städten fehlen, nicht ersetzen.  Auch für den Kreis Viersen stellen die Kölner Immobilienforscher fest, dass mehr gebaut wurde als nötig gewesen wäre. Der Bedarf an 5-Zimmer-Wohneinheiten wurde zu 260 % erfüllt. Die Forscher bestätigen zudem das, worüber junge Paare oder ältere Singles im Grenzland seit Jahren klagen: es fehlen kleine Wohnungen: Hier wurde der Baubedarf lediglich zu 77% gedeckt. Junge Berufsanfängerinnen und -anfänger, anerkannte Flüchtlinge oder ehemalige Arbeitspendler(innen), die eigentlich hier leben möchten und könnten, müssen sich neu orientieren, weil sie keine passende Wohnung finden. Wegzüge der 18 – 27-jährigen sind nicht nur Bildungsabwanderung. Nur mit  Markt und Wettbewerb lassen sich eben die unterschiedlichen Wohnbedürfnisse  nicht befriedigen. Die IW-Studie könnte zum Umdenken anregen. 

Status Quo halten?

„Immer mehr vom Gleichen, um den Status Quo zu halten…“: Der quantitative Wettbewerbsgedanke ist tief verankert. Immer noch wollen Kommunalbeamte und – politikerinnen wohnungssuchende junge Familien, die über attraktive Arbeitsplätzen in den Städten verfügen, zum Neubau eines Einfamilienhauses auf dem Land verlocken. Es reizen günstige Immobilienpreise,  Pendlerpauschale und Niedrigzinsen. Doch die helfen nicht gegen den demografischen Wandel. Einzelhändler, Post und Bank verschwinden. Der Leerstand an gebrauchten Immobilien im Grenzland droht weiter zuzunehmen. Wenn neue Baugebiete entstehen und Ortskerne veröden, wird hochwertige kommunale Infastruktur (vom Abwasserkanal, über den Kindergartenplatz bis hin zum öffentlichen Nahverkehr) ineffizient genutzt. Das wiederum treibt die Erhaltungskosten für die Kommunen nach oben und den Marktwert der örtlichen Wohnimmobilien nach unten. Das von manchem Arbeitspendler für die Altersvorsorge im Ruhestand gedachte ländliche Betongold könnte sich am Lebensabend womöglich „als Klotz am Bein“ erweisen.. 

Die Zeiten sind vorbei, in denen sich die Frauen zu Hause um Kinder, Kirche und Küche sorgen, während die Männer zur Arbeit in die nächste Großstadt pendeln. Der immer wiederkehrende Traum vom Einfamilienhaus im Grünen entspricht nicht mehr der humankapitalerzeugenden Lebensrealität von Kleinfamilien. 

Für sie verursacht die ländliche Immobilie zusätzliche Kosten durch Zeitverlust: Pendlereltern stehen im Stau, an Haltestellen oder in stehenden Regionalzügen. Die wenig verbleibende Zeit mit den eigenen Kindern wird zur Intensivzeit verklärt. Die wiederum geht zu Lasten der Wünsche nach Nachbarschaft oder Integration ins dörfliche Leben. Man braucht unter Pendlern nicht lange zu suchen, um Klagen über die fehlende  „work-life-balance“ zu hören. 

Bäuerliche Landwirtschaft, dörfliches Handwerk, das traditionelle Vereins- und Kirchenleben haben an Bedeutung verloren. Alte Strukturen haben sich aufgelöst. Eine auf den dörflichen Kosmos bezogene Kommunalpolitik findet seit den kommunalen Neugliederungen der 1970er nicht mehr statt. Doch es entsteht auch Neues.

Neues Landleben 

 „Landleben“  und die „Stadt-Land-Beziehungen“ werden mal wieder neu definiert.  Denn das kulturelle Leben auf dem Land ist städtischer geworden. Im Grenzland werden kulturelle Veranstaltungen von hohem Niveau organisiert. „Machen und erleben“. Aus dem Nebeneinander von urbanen hochkulturellen Einzelerlebnissen und dörflichen alltagskulturellen Gemeinschaftsimpulsen  können neue Mischformen entstehen.  Digitalisierung, Dorfgenossenschaften, Bürgervereine und Querdenker(innen) schaffen neue Möglichkeiten des sozialen Zusammenhalts. Lebensstile, die globales Nomadentum, Vereinzelung, Informationsfluten, ständige Selbstoptimierungs- und Beschleunigungszwänge auslösen, erfüllen die menschlichen Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Überschau- und  Durchschaubarkeit nur unzureichend. Und für Kinder bieten ländliche Strukturen immer noch einen gigantischen Spielplatz. 

Das Gegensatzpaar Stadt-Land bewegt die Menschen seit es Stadt gibt. Dabei geht es um Lebensqualität und nicht nur um bebaute Quadratmeter Wohn- und Gewerberaum.  Nach der Urbanisierung des ländlichen Raums erleben wir gerade eine Phase der Ruralisierung der Stadt. Urban gardening – Gruppen stehen nicht nur für selbst gezüchtetes Gemüse. 

Derartige Aspekte spielen jedoch  in der derzeitigen Regional- und Flächennutzungsplanung so gut wie keine Rolle. Im Gegenteil. 

Kampf um jeden Quadratmeter

Fast alle Bürgermeister und Bürgermeisterinnen im Kreis Viersen kämpfen um jeden Quadratmeter Siedlungsfläche für ihre Kommune. Sie berufen sich auf ihre kommunalen Handlungsspielräume und wehren sich gegen Vorgaben zur Siedlungsdichte. Dafür erhalten sie in ihren Gemeinde- und Stadträten meist die einstimmige politische Unterstützung aller Fraktionen. Daher ist es folgerichtig, wenn im interkommunalen Wettbewerb des Kreises Viersen

  •  Brüggen „kein Neubaugebiet ohne Infrastruktur“ anbietet
  •  Grefrath mit einem breitgefächertes Angebot an Wohnimmobilien für jeden Anspruch wirbt
  • Kempen von seinen einzigartigen Standortvorteilen durch den gesunden Mix aus Gewerbebetrieben und behutsam ausgewiesenen neuen Wohngebieten überzeugt ist.
  • Nettetal sich als attraktiven Wohnstandort mit Perspektive und deutlichen Zuzugspotentialen aus der Region anpreist.
  • Niederkrüchten seinen lebendigen Wohnstandort mit guter Nahversorgung und besonderem Erholungswert hervorhebt
  •  Schwalmtal mit Beschaulichkeit und viel Platz für Erholung und Freizeit einer großen Auswahl an Sportanlagen und Schulen sowie seinen stetig wachsenden Gewerbegebieten wirbt
  • Tönisvorst seine Vorteile in der zentralen Lage, der Autobahnnähe und der schnellen Erreichbarkeit der benachbarten Städte sieht
  • Viersen seine Kombination aus städtischem Leben und Naturnähe rühmt
  • Willich mit dem "einzigartigen Erfolgsmodell" Münchheide auf die Verbindung von Wohnen und Arbeiten setzt. 

Von Stadt-/Umlandbündnissen oder Entwicklungsperspektiven jenseits eines interkommunalen Wettbewerbs um quantitative Wachstumschancen sind wir noch weit entfernt. Die IW-Studie sollte Weckruf sein,  pragmatisch über andere eher qualitative Entwicklungsmöglichkeiten des Grenzlands nachzudenken. 

Es wird viel vom Flächensparen geredet, aber wenn’s konkret wird, haben neue Versiegelungsmöglichkeiten Vorrang. Dazu schreiben die Autoren der Studie: „Allerdings muss allen Beteiligten bewusst sein, dass der Abbau von Leerstand deutlich schwerer ist als die Begrenzung des Neubaus.“ Die Schwalmtaler Grünen hatten in ihrem Kommunalwahlprogramm 2009 gefordert, keine neuen Bauflächen auszuweisen und hielten sich wenig später selbst nicht dran. 

Land in Sicht?

Es macht aber Sinn, im niederrheinischen Grenzland keine neuen Baugebiete auszuweisen, den Leerstand bei Gebrauchtimmobilien frühzeitig abzubauen, die sich in privater Hand befindlichen Baulücken zwangsweise zur Bebauung zu bringen, den nicht mehr aufzuhaltenden Trend weg vom stationären Einzelhandel zu akzeptieren und die qualitative  Orts- oder Dorfkernentwicklung zu stärken, die Kirchen für weltliche Hochkultur zu öffnen und…und…und vor allem: den Glasfaserausbau für schnelles Internet zu forcieren, um digitale Arbeitsplätze zu ermöglichen. 

„Land in Sicht“? - Aus Landlust wird Landfrust, wenn ländliche Wertschöpfungsketten nur aus verkauften Gewerbequadratmetern, Stickstoffüberschüssen, Windrädern, Logistikhallen und ausgeräumten Landschaften bestehen und  die kommunale Wirtschaftsförderung mentale Kraftorte und engagierte Menschen übersieht. Die aber werden die Wirtschaft fördern, wenn die deutsche Hochkonjunktur abflaut, die Logistikhallen menschenleer sind oder der finanzmarktgesteuerte Kapitalismus ganz zu Ende geht. Die besten Tage liegen ohnehin schon hinter ihm.   

Samstag, 30. Januar 2016

Mehr Wald an den Niederrhein

In Jahrmillionen gewachsen – in Jahrzehnten ausgebeutet. Ohne Wälder hätte es kein deutsches Wirtschaftswunder gegeben, auch kein güdderathsches Logistikzentrum, kein glasfaserloses Gewerbegebiet und keine nahversorgungsarme Eigenheimsiedlung. Aber  laute Stimmen aus  Politik und Wirtschaft fordern in ihren Stellungnahmen zur landesweiten und regionalen Entwicklungsplanung nicht die Waldvermehrung, sondern noch mehr Flächenversiegelung. 

Offenbar sind die politischen Hinweise auf Wachstumsfallen, Klimawandel, Bodenschutz oder Biodiversität viel zu leise. Die vor einem Jahrzehnt vom CDU-Landwirtschaftsminister Uhlenberg ausgerufene “Allianz für die Fläche” ist nicht mehr wahrnehmbar. Der Niederrhein ist  extrem waldarm. Mehr Wald am Niederrhein böte NRW einen positiveren Einfluss auf Landschaft, Klima, Bodenfruchtbarkeit, Gemeinwohl und menschliche Gesundheit als mehr AutopendlerInnen, mehr Arbeitsverdichtung und mehr scheußliche Hallen für mehr globalisierten Konsum. Ohne Menschen wäre derNiederrhein größtenteils mit Buchen bewaldet. Mit Menschen braucht er starke politische und rechtliche Leitplanken für die Wirtschaft und keine Notare zur Umsetzung von Investorenimperativen. Und für die notwendige niederrheinische Waldvermehrung zeigen die zehn positiven Beispiele des BUND-Waldreports, dass der aus Forstwirtschaft stammende Gedanke der Nachhaltigkeit  in der Praxis mehr umfassen kann als die Wahl zwischen menschenlosem Urwald und gewinnorientierter Holzvermarktung.

 Sonntag, 24. Januar 2016

Landesentwicklung nachhaltig steuern

Die grüne Regionalratsfraktion hat eine eigene Stellungnahme zum zweiten Entwurf des Landesentwicklungsplans (LEP) abgegeben. Darin begrüßt sie das neu aufgenommene Frackingverbot, kritisiert aber, dass sich der Freiraum- und Naturschutz nur noch umsetzen ließe, wenn er den Flächenansprüchen für Siedlung und Gewerbe nicht entgegenstehe. Die Grünen befürchten damit eine Entwertung des Standortes NRW. Sie fordern daher den Siedlungsflächenverbrauch in NRW bis 2020 auf fünf Hektar pro Tag und langfristig auf Netto-Null zu begrenzen. Die kommunale Siedlungs- und Gewerbeentwicklung soll Brachflächen bevorzugen und auf die Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr achten. Bei der Planung neuer Bau- und Gewerbegebiete sollen die Kommunen verpflichtet werden, auch die Folgekosten für neue Infrastruktur zu kalkulieren. Für wertvolle landwirtschaftliche Böden soll ein Versiegelungsverbot gelten.

Die Regionalgrünen wollen, dass die raumbezogenen Maßnahmen des nordrhein-westfälischen Klimaschutzplans verbindlich in den LEP aufgenom-men werden. Damit könnten umweltfreundliche Verkehrsverbundsysteme, Walderweiterung oder Förderung biologischer Vielfalt raumplanerisch gesichert werden.

Seit Jahren kritisieren die Regionalgrünen die weit über den Bedarf hinausgehenden Festlegungen bei landesbedeutsamen flächenintensiven Vorhaben zum Beispiel für Industrie- oder Logistikunternehmen. Sie lehnen es ab, dass im Rahmen einer Angebotsplanung Großflächen erschlossen werden, ohne dass es einen konkreten Ansiedlungswunsch gibt.

Die grüne Fraktion unterstützt die grenzüberschreitende und regionale Zusammenarbeit, warnt aber davor, dass das Land in dem Zusammenhang Parallelparlamente fördert, in denen Wirtschafts- und Verwaltungsvertreter überrepräsentiert sind. Außerdem schlägt sie vor, die derzeit von der Wirtschaft forcierte Aufteilung NRW’s in die Metropolregionen “Ruhr” und “Rheinland” aufzugeben. Beide Teilräume seien räumlich und funktional verflochten und würden “im internationalen Maßstab als Teil eines polyzentrischen Ballungsraums wahrgenommen, der von Hamm über Dortmund, Essen, Duisburg, Düsseldorf und Köln bis nach Bonn reicht und das Bergische Land einbezieht.”

Eine weitere Sicherung von Flächen für den Braunkohleabbau lehnt die Fraktion ab. Dies stehe im Widerspruch zum Klimaschutz und zu einer nachhaltigen Energieversorgung. Dagegen begrüßen die Regionalgrünen, dass die ursprünglich strikten Flächenvorgaben für Windenergienutzung gelockert werden sollen. Dies eröffnet mehr Abwägungsmöglichkeiten bei Konflikten um die Neuausweisung von Flächen für Windenergieanlagen. 

Hier können Sie die grünen Stellungnahmen zum Landesentwicklungsplan downloaden.


Sonntag, 24. Mai 2015

Natürliche Grenzen akzeptieren - Ideologische Grenzen überwinden

Aus NRW-Regierungskreisen ist zu hören, dass es beim Landesentwicklungsplan (LEP) nach der Sommerpause 2015 zu einer zweiten öffentlichen Beteiligungsrunde kommen wird. In den nächsten Wochen wird im Düsseldorfer Regierungspräsidium entschieden, ob dies auch für den Düsseldorfer Regionalplan (RPD) gilt. Dies bietet den Kommunen und Wirtschaftsfunktionären im Kreis Viersen die Gelegenheit, ihre bisherigen von einem  "Weiter so“ getragenen Stellungnahmen um ökologische und soziale Perspektiven zu ergänzen und so die räumliche Entwicklungsplanung dem wirtschaftlichen Wachstumsdruck zu entziehen.

Mit Siedlungs- und Gewerbeflächen gegen den demografischen Wandel?

Zwischen 1963 und 2013 hat der Kreis Viersen täglich rund 4.300 m² Freiraum verloren. Allein in den vergangenen 20 Jahren wurden die Wohn- und Gewerbeflächen um gut 11% auf heute ca. 14.460 Hektar ausgeweitet. Die Bevölkerung wuchs dabei um rund 7%. Die Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein und die kommunalen Planer sollten nicht den Eindruck erwecken, diesen Trend durch den Nachweis von noch mehr Gewerbe- und Siedlungsflächen verstärken zu wollen, um damit den europaweiten wirtschaftlichen und demografischen Schrumpfungstendenzen im Kreis Viersen entgegen wirken zu können.  Der Regionalplanentwurf weist neben den neuen kommunalen Siedlungs- und Gewerbeflächenauch noch die für Großunternehmen und Emittenten bedeutsame „Mackenstein-Erweiterung“ zwischen Viersen und Mönchengladbach und die „Flughafen-Elmpt-Konversion“ aus. Mit dem Leitbild einer Logistik-Region Rheinland versprechen die Planer daher zusätzliche Wertschöpfung und Arbeitsplätze für den Kreis Viersen.

Zukunftserwartungen und natürliche Grenzen

Ob im Hausgarten, in einer Stadt oder im Bundesland: Bei jeder Raumplanung spielen Zukunftserwartungen der Bewohner und Bewohnerinnen und die natürlichen Grenzen eine Schlüsselrolle. Die  sollten die kommunalen Planer(innen) und regionalen Wirtschaftsfunktionäre in ihren zweiten Stellungnahmen mehr betonen als in ihren ersten.

Entspricht es unseren Zukunftserwartungen, wenn die von der „Logistik-Region Rheinland“ versprochenen Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor den Verkehrskollaps auf den regionalen Autobahnen ebenso beschleunigen wie das Geschäftesterben in den Innenstädten oder das Artensterben im Freiraum? Sind neue Logistik-Arbeitsplätze im Kreis Viersen nicht zwangs-läufig wieder mit dem Ruf der Wirtschaft nach massiven Investitionen in die Straßen- und Schieneninfrastruktur verbunden? Und das am besten in Public-Private-Partnership-Modellen auf Kosten der Steuerzahler? Ist es nicht absurd, wenn eine auf 20 Jahre ausgelegte Raumplanung an der niederländischen Grenze endet, obwohl es um eine global orientierte und mit niederländischen und belgischen Nordseehäfen verwobene Logistik-Region gehen soll?

Auch bei den kommunalen Forderungen nach mehr Fläche für privaten Wohnungsbau kommen angesichts der Fehlentwicklungen der Vergangenheit Zweifel an deren Zukunftsfähigkeit auf. Nach den neuesten Bevölkerungsprognosen wird es in gut 20 Jahren rund 12.000 Menschen im Kreis Viersen weniger geben, davon aber viel mehr Hochbetagte und Pflegebedürftige. Die damit verbundenen Herausforderungen sind heute schon spürbar. Sektionen und Ortsteile unter 4000 Einwohnern werden allmählich von der Lebensmittelnahversorgung und den Alltagsdienstleistungen abgehängt.

Viele alte Menschen werden ihren letzten Lebensabschnitt jedoch am liebsten in ihren in den vergangenen Jahrzehnten gebauten oder erworbenen Einfamilienhäusern verbringen –Häuser, die oft weder barrierefrei noch an ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsnetz oder an eine seniorengerechte Infrastruktur angebunden sind. Zudem werden die durchschnittlichen Renten in 20 Jahren wesentlich niedriger sein als heute. Die heutigen Kinder werden sich aller Voraussicht nach in Zeiten von Share Economy oder Industrie 4.0 auf ein noch flexibleres Berufs- und Familienleben einstellen müssen. Geht man von diesen oder ähnlichen Zukunftserwartungen aus, verbietet sich ein „Weiter so“ in der Siedlungsraumplanung. Anstatt nach noch mehr Fläche für Einfamilienhäuser zu rufen, sollten sich die kommunalen Planer(innen) auf die entsprechende Anpassung der bereits vorhandenen Siedlungsflächen konzentrieren. Schon heute gibt es Leerstände bei alten Einfamilienhäusern während jungen Paaren und alten Alleinstehenden im Kreis Viersen energieeffiziente kleinere Wohnungen mit guter Infrastrukturanbindung fehlen. Immer noch gibt es für die Menschen im Kreis Viersen viel zu wenige Alternativen zum Privat-PKW.

Wachstumsillusionen

Die natürlichen Grenzen der Raumplanung zeigen, dass immerwährendes Wachstum eines „Alles wird immer mehr“ eine Illusion ist. Schon lange gilt für die Raumentwicklung das Leitbildtrio aus Stärkung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit, Sicherung der Daseinsvorsorge und Bewahrung der Ressourcen durch nachhaltiges Kulturlandschaftsmanagement. Doch in der öffentlichen Diskussion um den Landesentwicklungsplan und den Regionalplan ging es in den vergangenen Wochen nur um die regionalen und kommunalen Chancen im wirtschaftlichen Wettbewerb. Noch im November 2007 unterstrich die Umweltministerkonferenz auf Schloss Krickenbeck in ihrer Stellungnahme zu den Leitbildern und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland, wie dringend und notwendig die Stärkung des Freiraums und des Klimaschutzes ist. Damals war sich die hochrangige Runde um den NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) einig, dass Wettbewerbs- und Wachstumsziele nicht einseitig zu Lasten der natürlichen Ressourcen und Umwelt umgesetzt werden können. Unter Zustimmung aller beteiligten Verbände hatte NRW schon im Jahr zuvor eine „Allianz für die Fläche“ ausgerufen. Denn in unserem Bundesland werden immer noch etwa 15 Hektar täglich in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt - mit allen fatalen Folgen für Mensch und Umwelt: Artensterben, wachsende Hochwasserrisiken, weniger landwirtschaftlich wertvölle Böden, höhere Infrastrukturkosten...

Der erste Entwurf des Landesentwicklungsplans schrieb daher das seit Jahren fixierte Ziel der Landesregierung fest, den täglichen Flächenverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 5 Hektar zu begrenzen. Dies sollte auch ein entsprechender Richtwert für die Regionalplanung bilden. Doch mittlerweile hat die Landesregierung für den zweiten Entwurf des LEP die Vorgabe aufgeweicht: Aus dem „Ja, wir wollen“ wurde ein „Grundsätzlich sollen wir immer noch, aber…“

Vielfältige ökologische und ökonomische Planungsregionen im Rheinland

Die Planungsregion Düsseldorf ist nicht nur von Logistik, sondern von großer Vielfalt gekennzeichnet. Sie besteht aus wachsenden Metropolregionen und schrumpfenden ländlichen Räumen. Sie beherbergt international bedeutsame Häfen, Flugplätze und Naturschutzgebiete. Selbst innerhalb des Kreises Viersen bestehen erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die natur-räumlichen Gegebenheiten und die Wirtschafts- und Sozialstruktur. Während der Westen eher einem bevölkerungsärmeren ländlichen Raum zugeordnet ist, sind Verdichtung und Wachstumserwartungen im östlichen Kreisgebiet wesentlich größer.

Daher könnte der Kreis Viersen im Rahmen der Regionalplanung den vor allem im Westen noch vorhandenen Freiraum weiterentwickeln, um mit guter landwirtschaftlicher Versorgung, Klimaschutz, Lufthygiene, Artenvielfalt und Erholungsmöglichkeiten im kommunalen Wettbewerb punkten zu können. Seit Jahrzehnten wirbt der Kreis zu Recht mit seinem mehr als nur regional bedeutsamen Naturpark Maas-Schwalm-Nette, mit grenzüberschreitendem Tourismus oder seinen Natur-, Landschaftsschutz- und Naherholungsgebieten. Wenn der Kreis Viersen im Vergleich zu den benachbarten Städten und Kreisen ein eigenständiges Image und eine besondere Stärke hat,dann hat es mit diesem grünen Themenfeld zu tun. Und genau dies hat angesichts der unterschiedlichen Einwohnerentwicklungen gute Wachstumschancen.

Im Rahmen der Regionalplanung könnte der Kreis Viersen daher die Gelegenheit nutzen, wenig naturnahe Lebensräume für den Biotop- und Artenschutz wiederherzustellen und die Lücken im Biotopverbund zu schließen.

Deshalb schlägt die grüne Regionalratsfraktion vor, die zwischen Viersen und Mönchengladbach vorgesehene interkommunale Erweiterung des Gewerbegebiets Mackenstein für große und belästigende Betriebe wieder aus dem Regionalplanentwurf zu nehmen und stattdessen die vorhandenen Grünzüge und Landwirtschaftsflächen weiter ökologisch aufzuwerten. Wie dringend notwendig und ökonomisch sinnvoll ökologische Aufwertungen sind, hat der alarmierende Artenschutz-Report 2015 des Bundesamts für Naturschutz deutlich gemacht.

Die kommunalen Entscheidungsträger und -vorbereiter haben nun die Gelegenheit, sich den Regional- und den Landesentwicklungsplan zur zweiten Beteiligungsrunde nochmal unter den Aspekten Biotopverbund, Schutzgebietsmanagement und ökologische Agrarwende anzuschauen. Die ausführliche Stellungnahme, die die Naturschutzverbände dazu abgegeben haben, enthält zahlreiche Anregungen für Pufferzonen und Korridore zur Absicherung wertvoller Naturgebiete.

Dies gilt auch auch für die Konversionsfläche des ehemaligen Flughafens Elmpt. In der Öffentlichkeit wurde bisher über mögliche Konflikte zwischen der vorgesehenen Gewerbentwicklung für Großbetriebe und möglicher Flüchtlingsunterbringung diskutiert. Angesichts der einmaligen Biotope, die sich im ehemaligen Sperrgebiet entwickelt haben, sollten die Gemeinde Niederkrüchten und die „Investregion Viersen“ die von den Naturschutz-verbänden empfohlenen Natur- und Landschaftschutzmaßnahmen schon bei den ersten Planungen komplett berücksichtigen.

Dem Wachstumsdruck entziehen

Wer sich Zukunftsstudien zur Armuts- und Reichtumsverteilung, zum Klima- und Artenschutz und zur wirtschaftlichen Entwicklung im europäischen Binnenmarkt anschaut, kann sich nur wünschen, dass Politik und Gesellschaft im Rahmen der Raumplanung Zukunftswege finden, die sich dem permanenten Wachstumsdruck der Wirtschaft entziehen. Mit einseitigen raumplanerischen Vorstellungen aus der Zeit als es in Deutschland vorrangig um den wirtschaftlichen Wiederaufbau ging, ist heute keine realistische Zukunftgestaltung mehr denkbar.

Selbst die umweltfreundlichen Vorränge für Windenergie oder Schienen werden  nicht überall sozial- und naturraumverträglich umsetzbar sein. Gebraucht werden politische Handlungsstrategien und neue gesellschaftliche Leitbilder, die herausarbeiten, welche Verbesserungen der Lebensqualität durch eine schrumpfende und älter werdende Bevölkerung, eine regionale Kreislaufwirtschaft und eine umweltfreundliche Landschaftsentwicklung möglich werden. Dringender denn je werden raumplanerischer Erfindergeist und intelligente Innovationen benötigt, die andere regionale Entwicklungspfade eröffnen: Dezentralisierung der Energiewende mit Konzepten zur regionalen und erneuerbaren Energieversorgung, eine regional angepasste Landwirtschaft, die mit Biodiversität und einem ethisch verträglichen Umgang mit Tieren im Einklang steht, die Entwicklung einer regionalen Kreislaufwirtschaft, den Erhalt und die Vermehrung von Wäldern, Grasland und Feuchtgebieten.

Räumliche Entwicklungsplanung dem wirtschaftlichem Wachstumsdruck zu entziehen setzt allerdings voraus, dass wir die natürlichen Grenzen unseres Raumes akzeptieren, aber die ideologischen und nationalen Grenzen unserer global orientierten Wettbewerbswirtschaft überwinden.  

Sonntag, 15. März 2015

Einzelhandel gegen Landschaftsschutz?

Wieder ein möglicher Beitrag zum Flächenfraß im Grenzland: die Planungen der Gemeinde Niederkrüchten für einen EDEKA-Markt in Elmpt hinter der Imbissbude an der Mönchengladbacher Straße, gegen die der Rapper und Schriftsteller Sebastian Polmans mit einer Petition vorgeht und gegen die betroffene Bürger(innen) und Organisiationen noch bis zum 10. April Einwendungen erheben können.

Noch ist die dortige Grünzone im Regionalplan  als Freiraum zum Schutz der Landschaft und der landschaftsorientierten Erholung ausgewiesen, Demnächst sollen 1800 m” Verkaufsfläche die wirtschaftliche Zukunft eines EDEKA-Marktes absichern. Das jetzige EDEKA-Geschäft  am 200 Meter vom Plangebiet entfernten Laurentiusmarkt gilt mit seinen 600 m” als zu klein. Ob er dort Erweiterungsmöglichkeiten hat, ist umstritten. Der Bürgermeister sagt nein, der Grundstücksbesitzer  ja…

Umstritten sind auch die  Umweltauswirkungen der Planungen. Das zumindest  ist das Ergebnis einer Exkursion zu der BUND Kreis Viersen und die Niederkrüchtener Grünen am heutigen Sonntag eingeladen haben. Vor rund 60 Menschen machten die Landschaftsführerin Beate Siegers und NABU-Ortssprecher Klaus Forßmann deutlich, dass das Umweltgutachten des Erkelenzer VDH-Projektmanagement etliche Aspekte dieser Fläche nicht angemessen bewertet hat: Tektonik, Hochwasserschutz bei Starkregen, Bodenbeschaffenheit  und Auswirkungen der Versiegelung auf den Wasserhaushalt, Flug- und Jagdgebiete für Rauch- und Mehlschwalben oder Mauersegler. Ob der Steinkauz  - wie vor einigen Jahren auf dieser Fläche brütet, sei auch noch nicht untersucht worden. Die offiziellen Unterlagen zum Verfahren finden Sie hier.

Durch den Erhalt des wertvollen Landschaftsschutzgebiets ist die Lebensmittelversorgung in Elmpt aber nicht gefährdet. Offenbar hat der Wettbewerber REWE alternative und landschaftsschonendere Pläne in der Schublade...

Hier die Verantwortlichen für den aufschlussreichen Exkursionsnachmittag: 

v.l. Beate Siegers, Klaus Vorßmann (NABU), Horst Meister (BUND), Anja Degenhardt (Grüne), Christoph Szallies (Grüne)


Samstag, 31. Januar 2015

Regionalplan Düsseldorf: Lebensqualität unter dem Gegenstromprinzip  

Wo können Wohn- und Gewerbeflächen entwickelt werden? Wohin steuert die Region bei der Verkehrsentwicklung? Wo werden wir uns zukünftig erholen oder mit Waren und Dienstleistungen versorgen können? Wie wer-den diese Angebote erreichbar sein? – Das sind nur einige Fragen, die derzeit im Prozess zur Aufstellung des Regionalplans Düsseldorf (RPD) eine Rolle spielen. 


Rahmenplan zur Problemlösung

Der Entwurf zum „Plan der Pläne“ (Christoph van Gemmeren) liegt seit einigen Wochen vor. Er wurde seit 2010 in den Büros des Dezernats 32 der Düsseldorfer Bezirksregierung erarbeitet und umfasst über 2.500 Seiten Papier zur Raumordnung in den Kreisen Kleve, Viersen, Neuss, Mettmann und  den Städten Düsseldorf, Solingen, Wuppertal, Remscheid, Mönchen-gladbach und Krefeld. Der RPD will den betroffenen Kommunen einen Rahmenplan an die Hand geben, der Probleme und Herausforderungen der regionalen Flächennutzung löst, bevor sie durch unkoordinierte kommunale Planung entstehen: Landschaftsfraß und Versiegelung, wertlose Brachflächen, unterbrochene Biotopverbünde, fehlende Erholungsmöglichkeiten, unpassende Flächen für Windräder, unnötige Landschaftszerschneidung durch Verkehrswege, fehlende Gebiete für Industrie und Gewerbe. Verarbeitet wurden im RPD-Entwurf mehr oder weniger sichere Prognosen und Erwartungen zur Bevölkerungs-, Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung, zum Energiebedarf,  zum Rückgang der Artenvielfalt oder zum Klimawandel. 

Bis zum 31. März 2015 stellt sich der Entwurf dem Urteil der betroffenen Bürger und Bürgerinnen und Kommunalvertetungen. Die Planer und Planerinnen bei der Bezirksregierung erwarten so viele und so gravierende Einwände und Anregungen, dass sie in den kommenden Monaten wohl einen entsprechend überarbeiteten zweiten RPD-Entwurf zur Diskussion stellen werden.

Bürgerbeteiligungen in Rheydt und Viersen

Erstmals informierten die Planerinnen und Planer  über einen Regionalplanentwurf  in Bürgerinformationsveranstaltungen „vor Ort“. Sie versuchten dabei Verständnisfragen zu beantworten, um es interessierten Bürgern und Bürgerinnen zu erleichtern, sich mit Anregungen und Stellungnahmenam RPD-Erarbeitungsprozess zu beteiligen.

Wer die Bürgerversammlungen in Mönchengladbach-Rheydt und im benachbarten Viersen besucht hat, konnte hautnah die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Argumente und Interessen erleben. Während sich viele Mönchengladbacher darüber aufregten, dass die regionalen Grünzüge (RGZ) rund um den Hardter Wald gestrichen werden sollen, sprach die Willicher Planungsdezernentin Martina Stall in Viersen von den regionalen Grünzügen als eine überflüssige Belastung der Kommunen. Während es in Mönchengladbach um den allgemeinen Flächenbedarf von großen Windrädern ging, stritt man sich in Viersen über einen Aufsatz von Professor Dr. Alexander Schink zu den immissionsschutzbezogenen Belangen bei der Planung und Zulassung von Windenergieanlagen und zu der Frage, inwieweit die im Regionalplan ausgewiesenen Windvorranggebie-te unmittelbar kommunales Baurecht erzeugen. Für die Unterschiede zwischen der Rheydter und der Viersener Bürgerversammlung hatte Ludger Peters (Rheinische Post) eine plausible Erklärung. Er schätzte, dass das Viersener Publikum zu mindestens 75 % aus Planungsprofis bestand, die vergessen hatten, „dass mindestens die Hälfte ihrer Fachausdrücke nicht zum Sprachschatz des normalen Bürgers gehört.“ (Grenzland-Kurier vom 29. 1.2015, Seite C3).  

Gegenstromprinzip und kommunale Selbstverwaltung

Dazu zählen wahrscheinlich auch das im Raumordnungsgesetz verankerte Gegenstromprinzip und die Planungshoheit im Rahmen der grundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung. Sie sind eigentlich als wechelseitige Rücksichtnahme auf über- und untergeordnete Planungen und als eine sachbezogene Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips gedacht – und das alles im Rahmen europäischer Ziele. Auf „Gegenstrom“ und „Kommunalhoheit“ gründen sich auch grüne Hoffnungen auf viele dezentrale Nachhaltigkeitsinitiativen, die von den Kommunen ausgehen.

Umso schlimmer ist es mit ansehen zu müssen, wie die kommunalen Stadtentwickler und –entwicklerinnen mit diesen Prinzipien  "grüne" regional-planerische Rahmenvorgaben "killen" wollen,  um ihre branchendynamische und nachfrageorientierte Flächenvermarktung“ ungehindert aufrecht zu erhalten. Anstatt auch auf Initiativen und Infrastrukturen zu einem demografie- und ressourcengerechten guten Leben, setzen sie weiter auf interkommunale Konkurrenz -  mit immer mehr Neubau- und Gewerbegebieten. Unterstützung erhalten sie derzeit von vielen Landespolitikern, die möglichst viele auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtete „ökonomische Wachstumshemmnisse“ aus dem derzeitig ebenfalls heftig in die Diskussion geratenen nordrhein-westfälischen Landesentwicklungsplan torpedieren möchten.

Schwindende Zauberkraft

Auch wenn es viele noch nicht wahrhaben wollen: Der Zauber des Wachstums verliert in Europa an Kraft, die Wachsstumstoßgebete wirken nicht mehr so richtig. Viele Menschen spüren, dass der schärfer werdende ökonomische Wettbewerb in Europa nicht einmal mehr zu den Wachstumsraten führen wird, die für die Erhaltung des Status Quo notwendig wären. Gute Prognosen bleiben allenfalls der  „Gesundheitsindustrie“, die mit allerlei Therapien, mit Prozac und Ritalin wettbewerbsbedingte Erkrankungen als Wachstumsmarkt entdeckt hat.

Kein Wunder, dass sich sowohl Unbehagen und Abstiegsängste als auch Transformationsinitiativen breit machen. Denn die Möglichkeiten, wirt-schaftlich wichtige Rohstoffe rentabel zu fördern, schrumpfen ebenso wie die Fähigkeiten der ökologischen Senken (Atmosphäre,  Boden, Wasser) die Schadstoffe aufzunehmen und sich zu regenerieren. Die Debatten um die Handelsabkommen wie CETATTIP oder TISA machen auch eines deutlich: Soziale Einrichtungen und öffentliche Institutionen sollen offenbar gegen den Willen der Bürger und Bürgerinnen kommerzialisiert werden, um "der Wirtschaft" als neue wachstumsfördernde  Ressource zur weiteren Kapitalakkumulation zu dienen. So erklären die Ideologen einer "marktkonformen Demokratie" den demokratisch artikulierten Willen der Bürger und Bürgerinnen, die hart erkämpften sozialen Errungenschaften oder die müh-sam ausgehandelten ökologischen Standards schlichtweg zu nichttarifären Handels- und Wachstumshemmnissen, die es wegen unserer Zukunftsfähigkeit zu beseitigen gelte.

Aufgeflammte Kapitalismuskritik

Nach der Finanzmarktkrise 2008 gab es für einen kurzen historischen Moment eine öffentliche Debatte über grundsätzliche Fragen unserer europäischen Wirtschaftsordnung. Doch nachdem die Politik mit gigantischen Steuersummen Banken gerettet hatte, war die kurz aufgeflammte Kapitalis-muskritik schon wieder vergessen. Jetzt soll es offenbar planerisch weiter gehen mit den angeblich alternativlosen Konzepten zur Entfesselung der Wachstumskräfte. Und das, obwohl immer mehr Menschen erkennen, dass es so nicht weiter geht, wenn es so weiter geht (Erich Kästner). Ob studentische Netzwerke zur pluralen Ökonomik, Urban Gardening oder Transitiontown – Initiativen – immer mehr Menschen denken über Alternativen nach. Je mehr sie aus ihren Nischen herauskommen, desto unbequemer könnte die Bürgerbeteiligung für die amtlichen Zukunftsplanerinnen und –planer werden.  

Wahrscheinlich macht es daher für die regionale Entwicklung der nächsten 20 Jahre auch Sinn, wenn die Beteiligten mehr über Lebensqualität und die Abhängigkeit von den Systemgesetzen der kapitalistischen Globalisierung diskutieren als über RGZe, ASBe, GEP oder die BSLE….  

Samstag, 13. September 2014

Regionalplan Düsseldorf: Mehr Gewerbe- und Siedlungsflächen für`s gute Leben? 

„Entwurf zum Regionalplan Düsseldorf“: Über 800 Seiten textliche Begründung, rund 3000 Seiten Umweltbericht, knapp 200 Seiten Fachbeitrag und unzählige Karten, Prüfbögen Übersichten, Verzeichnisse… 

Abteilungsdirektor Holger Olbrich und sein Team von der Bezirksregierung Düsseldorf haben über die politischen Gremien ein wahrlich umfangreiches Werk ins öffentliche Beteiligungsverfahren gebracht.  Bis Ende März 2015 können  Bürger(innen) und die sog. Träger öffentlicher Belange des Grenzlands mit Hinweisen und Einwendungen zu diesem Planentwurf Stellung nehmen und damit darüber mitentscheiden, welche Entwicklung die Kreise Kleve, Viersen, Mettmann, Neuss und die Städte Düsseldorf, Mönchengladbach, Solingen, Remscheid, Wuppertal und Krefeld in den nächsten 20 Jahren nehmen.

Wer kann wann und wie welche Bedürfnisse entfalten? Wo kommen zukünftig Gewerbe- und Wohngebiete hin? Was ist mit Landschaftserhalt und Naturschutz? Wie ist welche wirtschaftliche Entwicklung räumlich zu unterstützen? Wie begegnen wir „vor Ort“ dem Klimawandel und der demografischen Entwicklung?

Regionale Zukünfte

Dabei sind die Interessen und Zukunftsvorstellungen der regionalen Akteure bekanntlich unterschiedlich, ja sie widersprechen sich mitunter und sind auch nicht immer durch Kompromisse „unter einen Hut“ zu bringen. Denn es geht bei Regionalplanung nicht nur um technische Fragen und Probleme, die von den kompetenten Experten der Bezirksregierung zu lösen wären. Es geht auch um handfeste politische Entscheidungen, d.h. um die Wahl zwischen konfligierenden Alternativen. Es geht um Machtfragen.

Dies wurde bereits deutlich, bevor ein erster Regionalplanentwurf auf dem Tisch lag.  Mit dem Startschuss 2010  und den Leitlinien 2012 stellte die Düsseldorfer Bezirksregierung etliche Thesen auf, die dem derzeitigen Stand der Nachhaltigkeitsdiskussion entsprechen. „Startschuss“ und „Leitlinien“ setzten auf eine Reduzierung des Flächenverbrauchs, auf Klimaschutz und Klimaanpassung,  auf gute Gewässer, auf die Förderung regenerativer Energien oder die strukturelle Stärkung des Radverkehrs. 

Deutlich kritisierte die Bezirksregierung den demografieblinden Irrglauben zahlreicher Städte und Gemeinden, dass sich mit der neuen  Ausweisung von Wohnbauland und Gewerbeflächen langfristig neue Einnahmequellen erschließen lassen.

 Ökonomie vor Ökologie

Offenbar waren aber  schon diese Planungsziele etlichen politisch eher rückwärtsgewandten Wirtschaftswachstumsvertretern zu innovativ.  Sie initiierten eine technokratisch daher kommende Diskussion über die Bedarfsberechnungsmethodik bei der Flächeninanspruchnahme  und stellten im Regionalrat bereits am 14.März 2013 für die weitere Flächenplanung die „berechtigten Anliegen der Wirtschaft und der Kommunen“  vor die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes. Einen Antrag der Grünen auf gleichwertige Betrachtung bei der Bedarfsberechnung lehnte der Regionalrat ab.

Und so wurden konfliktträchtigere Umweltziele schon im Vorfeld des Regionalplans redaktionell verwässert.  Sie werden jetzt den wirtschaftlichen Expansionszielen untergeordnet und  - wenn überhaupt - nur noch  „soweit wie möglich“, ,„weitgehend“ oder „auch“ verfolgt.

Quasi in letzter Minute sicherten  CDU, FDP und SPD auch dem antiquierten kommunalen Kirchturmsdenken bei der Regionalplanaufstellung zusätzlichen Bestandsschutz. In einem als Tischvorlage für den Planungsschuss vorgelegten gemeinsamen Antrag setzten sie weitere Prüfkriterien für kommunale Anregungen und Anträge fest.  Jetzt können Städte und Gemeinden auch kleinere Ortsteile als „zentral“ erklären. Sie können regionale Grünzüge durch „sinnvolle Abrundungen von Ortslagen“ schrumpfen lassen.  Eigene Vorranggebiete für Windenergie können reduziert werden, wenn für andere Kommunen des Bezirks proportional weniger Windräder vorgesehen sind. Die  Kommunen  können nunmehr die eigene demografische Schrumpfung mit möglichen „Überschwappeffekten“ aus Köln, Düsseldorf oder der Städteregion Arnheim/Nijmwegen schön rechnen, um zusätzlichen Flächenbedarf zu legitimieren.

Bei aller Planungswissenschaft: Niemand kennt den gesellschaftlichen Pfad, den die Region Düsseldorf in den kommenden zwei Jahrzehnten tatsächlich nehmen wird. Ziemlich sicher aber ist, dass die weltweite wirtschaftliche Entwicklung den Druck auf Fläche und Ressourcen vorerst erhöhen wird, dass sauberes Trinkwasser und Ackerland immer knapper werden und der Klimawandel nicht mehr zu stoppen ist.

Hans Hugo Papen (CDU) fordert im Sinne der gesellschaftlichen Mehrheit vom Regionalplan für die nächsten Jahrzehnte genügend Flächenreserven für die wirtschaftliche Entwicklung in allen Branchen, um vorhandene Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen.

Macht- und Mehrheitsverhältnisse

So ist es in einer Demokratie. Der Regionalplan beruht wie jeder gesellschaftlich erstellte Plan auf Macht- und Mehrheitsverhältnissen. Er schließt am Ende des Verfahrens alternative Möglichkeiten und Minderheitsmeinungen für die nächsten Jahre aus.

Doch müsste nicht angesichts der immer unglaubwürdiger werdenden Wachstumsversprechen gerade im wirtschaftsgeprägten Rheinland das derzeitige Verhältnis zwischen Ökologie und  Ökonomie überdacht und neu ausgehandelt werden? Kann es auf Dauer eine gute Wirtschaft ohne eine konsequente ökologische Politik geben? Welche Chancen bieten das Internet der Dinge oder innovative Formen einer Regionalwirtschaft? Haben „von sich aus“ gesunde und zufriedene Menschen nicht mehr regionales Entwicklungspotenzial als die angebliche Wachstumsbranche der Gesundheitsindustrie, die Schäden repariert und Krankheiten erfindet?

Denn trotz aller Flächenreserven: mit Kimawandel, Rohstoffkonkurrenzen, mit weniger und älteren Menschen schrumpfen traditionelle Arbeitskräftepotenziale und  wirtschaftliche Wachstumsperspektiven. Die alte Wirtschaftsformel „Immer mehr Menschen bekommen immer mehr“ gilt – trotz kurzfristiger Globalisierungs- und Exportchancen - langfristig eher für kleine Teile der Region Düsseldorf.

Ein munteres „Weiter so“ mit den derzeitigen flächen- und ressourcen-intensiven Wachstumsplänen wird es in den nächsten Jahrzehnten wohl nicht geben. 

An den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Rändern wachsen stattdessen wirkmächtige Alternativen: von der kommunalen Transition-town-Initiative über die konservative Kapitalismuskritik eines Meinhard Miegel oder Frank Schirrmacher bis hin zu linksalternativen Ideen einer „reduktiven Moderne“ (Harald Welzer). Dies wird Konsequenzen für die Raumplanung haben, deren Form und Ausmaß heute noch nicht abzusehen ist. 

Macht es daher nicht auch Sinn, bei der Regionalplanung eine Vorstellung vom „guten Leben“ jenseits eines „Immer mehr = immer besser“ zu entwickeln? Ist es für einzelne Kommunen auf Dauer womöglich gewinnbringender, wenn sie Wald, Acker- und Grünflächen bevorraten,  um demografische und klimatologische „Vorbildlandschaften“ zu schaffen anstatt sie in potenzielle Siedlungs- und Gewerbebrachen umzuwandeln? 

Es könnte in diesen Zeiten des Umbruchs durchaus lohnenswert sein, sich mit Merkmalen und Verfahren der derzeitigen Entwicklungsplanung für unsere Region zu beschäftigen und um unserer eigenen Zukunft willen mal ein paar andere Möglichkeiten ins Spiel zu bringen. 

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